Augenblick der Ewigkeit - Roman
Musikalienhandlung weiterhin betreiben konnten.
Franziska durfte ihren Vater begleiten, weil sie es gewesen war, die immer wieder die Rede auf Karls ungewisses Schicksal gebracht hatte, nicht ahnend, in welche Konflikte sie Karl und seine Mutter damit brachte. Sie hatte Papa versprochen, draußen zu warten, während er ihnen seine Vorschläge unterbreitete.
An der Ladentür hing ein handgeschriebenes Schild: » Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen«. Neugierig drückte sie ihr Gesicht gegen die Fensterscheiben. Die mit Samt ausgeschlagenen Schaukästen, in denen man früher die neuesten Grammophone und Schallplatten präsentiert hatte, waren leer, nur die Preiskärtchen hatte man vergessen, und wo noch vor kurzem glänzende Blechblas- und Streichinstrumente in Vitrinen standen, klebten jetzt auf den Glastüren die Pfandsiegel des Gerichtsvollziehers.
Franziska öffnete vorsichtig die Ladentür, ohne daß es klingelte, und schlich sich hinein. Sie platzte fast vor Stolz und Neugier. Wie würden Karl und seine Mutter auf Papas Vorschlag reagieren? Daß sie ablehnen könnten, hielt sie für ausgeschlossen, und auf den Gedanken, Karl würde vielleicht lieber zu Hause bei seiner Mutter bleiben, als mit ihnen ins ferne Wien zu ziehen, kam sie erst gar nicht. So verlockend erschien ihr das Angebot.
Neugierig schaute sich Franziska im Laden um. Gepfändete Bilder und Spiegel hatten Geisterspuren hinterlassen, Rechtecke und Ovale, die heller waren als die übrige Wand. Nur in einer Nische hatte man eine kleine Marienfigur vergessen, die den Heiligenschein auf ihrem blauen Kopftuch trug wie einen in den Nacken geschobenen Sonnenhut. Es roch nach Essen und Bohnerwachs, und aus dem dunklen Treppenhaus drang modriger Kellergeruch.
Im oberen Stockwerk hörte sie eine Frau aufschluchzen, und darauf die Stimme von Papa, der beruhigend auf sie einredete. Behutsam schlich sie die Treppe hoch, mit dem Rücken zur Wand, an braun gestrichenen Paneelen entlang, auf denen die Farben schilferten. Von einem Treppenabsatz konnte Franziska, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, ins Wohnzimmer blicken, in dem Papa unentwegt auf und ab ging und auf Karls Mutter einsprach, die im hochgeschlossenen Witwenkleid auf einem Fauteuil saß und weinte. Und sie weinte offenbar nicht aus Freude, sondern sah ziemlich verzweifelt aus. Was in aller Welt hatte Papa falsch gemacht?
Franziska reckte sich, um besser sehen zu können. Vorsichtig schlich sie noch ein paar Stufen höher. Plötzlich kamen Karls Stiefel in ihr Blickfeld, der an der Wand lehnte, um wie sie das Gespräch im Wohnzimmer zu belauschen. Er bemerkte sie nicht sogleich. Erst als sie an seinem Strumpf zupfte, schrak er zusammen, fuhr herum und rannte wortlos an ihr vorbei, die Treppe hinunter.
Franziska folgte ihm über den Hof, unter aufgehängter Weißwäsche hindurch, an einer mit Stauden und Brennnesseln bepflanzten Backsteinmauer entlang, bis sie Karl eingeholt hatte, der vor der Tür zur Werkstatt seines Vaters stehengeblieben war. Die Holzrahmen der bleigefaßten Fenster waren mit Efeu überwuchert und die Scheiben mit Spinnennetzen überzogen . Karl legte den Zeigefinger auf die Lippen und stieß vorsichtig die angelegte Türe auf. » Leise, sonst hören sie uns und laufen davon.«
» Wer?«
» Schscht!« Auf Zehenspitzen schlichen sie hinein. Durch das trübe Atelierfenster fiel Sonnenlicht auf einen dick mit Staub bedeckten Schreinertisch. Als Franziska mit dem Finger darüberfuhr, wirbelte Holzmehl auf und tanzte in der Sonne. Es roch nach altem Leim und nach Lack, nach Terpentin und Bienenwachs. An der fensterlosen Wand, dem Schreinertisch gegenüber, hingen die Musikinstrumente, die repariert werden mußten, und in den Regalen an den Seitenwänden lagen die Ersatzteile dazu: Ventile und Züge, Bogen und Stege, Klappen und Mundstücke. Franziska staunte.
Karl bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Er öffnete eine weitere Tür zu einem zweistöckig hohen Raum, in dem das Holz für die Anfertigung neuer Streichinstrumente gelagert und getrocknet wurde. Als sie den schummrigen Lagerraum betrat, war Karl plötzlich verschwunden. Sie fürchtete sich ein wenig und wollte schon umkehren, doch ihre Neugier war stärker.
» Karel? Karel…«
Keine Antwort. Statt dessen erklang leise Musik. Ein unsichtbares Orchester spielte einen Marsch. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das dämmrige Licht, und sie entdeckte ein kleines Theaterportal, das von einem
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