Augenblick der Ewigkeit - Roman
Maria schon das Schlimmste befürchtete und sich an Cosmo klammerte. Doch dann entschlüpfte seinen halb geöffneten Lippen nur ein kleines Schnarchen, und nach einem kurzen Besuch in der Ewigkeit wachte er wieder auf.
» Kommen Sie, Maria, ich möchte Ihnen etwas zeigen!« Cosmo nahm sie bei der Hand. Auch ihm war die Absence des Maestros nicht entgangen. » Wir haben vorgesorgt, für alle Fälle.«
Durch einen Korridor zahlloser Regale, vollgepackt mit Filmdosen, Schallplatten, Tonbändern und Partituren, folgte sie ihm staunend in das ovale Heiligtum, in dem Herzog die Videobänder seines Dirigats für die Nachwelt aufbereitete.
Indirektes Neonlicht tauchte den salonähnlichen Raum, den sie nie hatte betreten dürfen, in arktisches Blau. Ein Rautenmuster aus schwarzen und roten Marmorplatten bedeckte den Boden, die Wände rundum waren verspiegelt und gegen Schallreflexionen mit bordeauxrotem Samt drapiert. Über einem oktogonalen Misch- und Schneidepult im Zentrum stiegen acht trapezförmige Spiegelfacetten von den Wänden zur Deckenmitte, an der in einer Rosette die Bild- und Tonkontrollgeräte angeordnet waren. Maria glaubte sich in einem geheimen Spiegelkabinett, mit dem sich die Schaltzentrale eines Raumschiffs tarnte. Vielfach gespiegelt, drehte und wendete sie sich um sich selbst und bestaunte mit kindlichem Vergnügen ihr Bild, das sich in jener flaschengrünen Unendlichkeit verlor, die nur parallele Spiegelpaare aus dem Nichts erschaffen können.
» Die Summe seines Lebens…« Cosmo deutete auf eine Batterie von Abspielkonsolen hinter Panzerglas. Dort lagerten in einem sterilen Umfeld Hunderte von MAZ-Bändern, die für den Bildschnitt von den Mischpulten auf Knopfdruck abgerufen werden konnten. » …und Verewigung seines Künstlertums!«
» Und alles nur aus Angst, er könnte in Vergessenheit geraten?«
Cosmo nickte. » Er wollte immer die Musik der Flüchtigkeit des Augenblicks entreißen und damit seinem Dirigat ewige Dauer und Unsterblichkeit verleihen. Deshalb hat er auf diese Technik hier gesetzt, mit der er die flüchtige Illusion seiner Kunst für immer in einem Medium bannen konnte. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, Maria. Wenn während des Konzerts etwas passieren sollte, muß ich nur diesen Schalter drücken.
Cosmo schaltete die Anlage ein. Das Bild des Maestros erschien auf allen Monitoren, und aus den Lautsprecherboxen konnte Maria das Adagio jener Bruckner-Symphonie hören, die in wenigen Minuten mit den Philharmonikern in New York erklingen sollte: Zarte und langgezogene punktierte Tristan- Klänge, feierlich langsam, doch nicht schleppend. Schwebende und aufstrebende Quintolen, ein breit aufgefächerter Streicherteppich, der von Harfenspiel umrankt sich zum Choral aufschwang– ihr liefen Schauer über den Rücken.
» Wir lassen während der ganzen Dauer der Symphonie das MAZ-Band vom gestrigen Abend synchron mitlaufen. Denn ob der Maestro nun in vivo vor der Kamera steht oder statt dessen von einem MAZ-Band aus dirigiert, merkt drüben im Lincoln Center kein Mensch.«
» Das heißt, wenn ihm etwas hier passieren sollte, ist Krausnik drüben aus dem Schneider?«
» Es war seine eigene Idee.«
Von der Schönheit der Musik ergriffen, brach Maria fast in Tränen aus. » Aber ich will nicht, daß ihm überhaupt etwas passiert.«
» Weder ich noch Sie, noch sonst wer auf der Welt wird Ihren Mann daran hindern, das zu tun, was er sich nun einmal in den Kopf gesetzt hat. Also lassen wir ihm doch seinen Spaß!«
New York – 11 a.m.
Karls beherrschende Erscheinung auf der großen Leinwand in der Avery Fisher Hall erinnerte Franziska an einen Christus Pantokrator, der in der Apsiswölbung einer orthodoxen Kathedrale thront und die Gläubigen mit ausgebreiteten Armen willkommen heißt. Und so saß auch das Publikum im Konzertsaal auf den Sitzen– andächtig wie in einer Kirche.
Diesmal flatterten keine Friedenstauben aus der Kuppel, und auch der ausverkaufte Konzertsaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Nur war es für Franziska etwas ungewohnt, daß der Dirigent über Flachbildschirme dirigierte, die wie Notenständer im Orchester standen und über seinen Musikern schwebte, statt mit dem Rücken zum Publikum auf seinem Podium zu stehen. So aber konnte sie gleich zu Anfang sehen, daß Karl am Frackrevers tatsächlich das rote Schleifchen trug. Das Blut schoß ihr in den Kopf, und verlegen schaute sie zur Seite, bis ihr einfiel, daß sie die einzige im Saal war, die
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