Augenblick der Ewigkeit - Roman
Großmutter, von Gustav Klimt, eine della Reina aus Adrianopel, die den Großvater Wertheimer geheiratet hatte, eines der wenigen Erinnerungsstücke an mein Elternhaus in Wien, das von den Nazis geplündert wurde. Ich habe nach dem Krieg langwierige Prozesse gegen die Republik Österreich geführt, um die Bilder zurückzubekommen.«
Sie kam mit einer verschnürten Schuhschachtel ins Zimmer, auf die ein roter Elefant gedruckt war.
» Hier, ich glaube, das ist was für Sie. Ich mußte zwanzig Jahre alt werden, ehe ich lernte, fünfzehn zu sein, und dreißig, bevor ich wußte, was es heißt, zwanzig zu werden. Ich war immer meinem Alter hinterher. Heute muß ich mich zwingen aufzuhören, so zu leben, als hätte ich noch viele Jahre vor mir.«
Sie drückte Joachim den Karton in die Hand.
» Man sollte sich von den Gegenständen der Erinnerung trennen, bevor es zu spät ist.«
Er wollte gleich die Schachtel öffnen, doch sie hinderte ihn daran.
» Nein, nein, nicht hier. Öffnen Sie sie erst, wenn Sie zu Hause sind. Ich melde mich bei Ihnen. Versprochen! Jetzt bin ich müde. Erinnerungen strengen an.«
Beim Hinausgehen streifte Joachims Blick einen goldenen Engel auf einer Konsole, der seine Schwingen am Rücken zusammengefaltet hatte und sich mit einer Hand auf einen Sockel stützte, während die andere zur Haustür wies. Als er sich dort von Franziska verabschiedete, nahm sie seine Hände und drückte sie.
» Ich habe Ihre Mutter nie persönlich kennengelernt. Wahrscheinlich haben Sie ihre Augen. Aber Sie haben seine Hände. Immer kalt– wie Frauenhände.«
In Hell’s Kitchen waren die Streifenwagen mit jaulenden Sirenen unterwegs. Mädchen mit Schwanenhälsen und Gesichtern wie aus Porzellan lungerten in ihren Minis und hochhackigen Lackstiefeln auf dem Gehsteig vor dem Sunbrite herum, in dem der Barkeeper die Eichenholztheke polierte und jedem Gast die blutgetränkte Stelle zeigte, wo Eddie »Butcher« Cummisky vor ein paar Tagen den Kopf eines Komplizen aus einer Plastiktüte gezogen, ihn an den Haaren gehalten und wie eine Bowlingkugel abgesetzt hatte, bevor er ihn über die Theke hatte rollen lassen.
Joachim saß vor der geöffneten Schuhschachtel, nippte an seinem Drink und spielte mit der kleinen Puppe in dem roten Samtmäntelchen. An einem der Holzbeine fehlte der schwarze Schnallenschuh, und die gepuderte Perücke mit der schwarzen Schleife im kurzen Zopf sah ein wenig zerzaust aus.
Eines der Mädchen hatte Joachim schon eine Zeitlang durch die Scheiben wie ein hungriges Insekt beobachtet. Es zog sich den superkurzen Rock über dem gymgestählten Bauch zurecht und stöckelte herein. Seine Schritte knirschten auf den Erdnußschalen, mit denen der Holzfußboden übersät war. Es hockte sich ans andere Ende der Bar, schlug die Beine übereinander, klappte einen Schminkspiegel auf und zupfte sich die platinblond gefärbten Haarspitzen zurecht. » Hi, Mac, wie ich sehe, spielst du gern mit Puppen?«
Joachim beachtete es nicht. Er summte den Hochzeitsmarsch aus dem Figaro vor sich hin und ließ die Marionettenpuppe auf der Theke tanzen. Das Mädchen trug einen knappen, kurzärmeligen Pulli aus weißer Angorawolle auf der nackten Haut. Es legte beide Handflächen unter seine schweren Brüste und taxierte sie, als ruhten sie auf einer Waage. » Wie wär’s zur Abwechslung mal hiermit. Alles absolut original. Kein Holz, keine Sägespäne…«
Joachim winkte dem Barkeeper und ließ nachschenken. » Wie spät ist es?«
» Kurz vor Mitternacht.«
Er holte den Fetzen mit der Telefonnummer aus der Tasche, den Maria am Morgen auf das Notenpapier gekritzelt hatte, und rechnete nach. Wenn sie am Nachmittag in New York gestartet waren, müßten sie eigentlich schon in Nizza wieder gelandet sein. Er wickelte die Mozartpuppe sorgfältig in das fliederfarbene Seidenpapier. Das Mädchen räkelte sich auf seinem Barhocker. » Okay, Mac, schätze, du läßt gern die Puppen tanzen. Kannst du auch bei mir haben. Ich mach’s auch zum Sonderpreis.«
Das Mädchen stand auf, schlenderte zu ihm hinüber und drückte den flachen Bauch gegen seinen Rücken. Joachim ließ einen theatralischen Seufzer hören. » Baby, wozu soll das gut sein?«
» Ich wette, du willst wissen, warum ich kein Höschen unter meinem Mini trage, Sweetie.« Es knabberte an seinem Ohr und schnurrte. Joachim schob das Mädchen sanft zur Seite. » Warte, Baby, ich muß erst telefonieren. Wo ist das Telefon?«
Der Barkeeper deutete nach hinten zu den
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