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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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weiterzuspielen. Doch die Hände versagten ihren Dienst.
    » Du willst nicht? Rausgetreten, Bürschchen!«
    Karl machte vier Schritte vor. Er wußte, was ihn erwartete. Sokolowski baute sich vor ihm auf. Seine Stimme wurde leise, fast schmeichelnd. » Unser Itzigfreund ist sich zu fein für die Militärmusik? Mal sehen, wie er eine Runde solo für uns spielt! Achtung! Alles auf Anfang! Und eins und zwei…«
    Es war ein Spießrutenlauf mit Musik. Karl mußte mit seinem Glockenspiel allein neben dem Instruktor im Karree einhermarschieren, indes der Mann hoch in der Luft den Tambourstock kreiseln ließ.
    » Nur einer kann den Ton angeben. Das Kollektiv spielt auf Befehl! Kapiert…«
    Karl traten die Tränen in die Augen. Sokolowski marschierte einige Schritte voraus. Er schleuderte den Tambourstock so hoch ins Schneegestöber, wie er konnte, und drehte sich um.
    » Wiederholen, Kadett!«
    » Nur einer kann…«
    Weiter kam er nicht. Der Stock wirbelte über seinem Kopf, ein sausendes Rad. In letzter Sekunde duckte er sich weg. Der Stock verfehlte nur knapp seinen Kopf und blieb vor ihm in einer Schneewächte stecken. Karl ließ vor Schreck das Glockenspiel fallen. Lautlos glitt es zu Boden, der frisch gefallene Schnee dämpfte jeden Klang. Er brauchte sich nicht zu bücken. Er zog den Tambourstock aus dem Schnee und wog ihn in der Hand. Er war aus schwarzem Ebenholz, geschmückt mit bunt gefärbten Pferdehaaren. Die Kadetten hörten auf zu spielen, die Tambouren zuerst, dann die Bläser und zuletzt die Piccoloflöten. Ein paar einzelne Töne tröpfelten noch nach– dann herrschte Stille.
    » Nun gib schon her, Kadett!«
    Sokolowski wirkte irritiert. Mit flatternden Fingern forderte er seinen Stock zurück. Karl faßte ihn am oberen und unteren Ende und blickte seinem Quälgeist in die Augen. Dann hob er das rechte Bein, und mit einem triumphierenden Lächeln zerbrach er den Stock über seinem Knie. Es war, als splitterte ein Knochen. Totenstille. Dann ein Laut, als klatschte einer der Kadetten in die Hände. Das Echo verfing sich in den Mauern und fand seinen Weg in den Kasernenhof zurück. Andere fielen ein, bis plötzlich Beifall aufbrauste und die Kadetten auf ihren Instrumenten trommelten, bliesen und rasselten. Das Fenster des Kommandantenzimmers wurde aufgerissen. » Sie werden sich entschuldigen, Kadett, und Ihren Instruktor um Verzeihung bitten!«
    Aber das Gebrüll des Kommandanten ging im Lärm unter.
    Der Kommandant des Instituts, ein Major a. D., war ein schmaler Mann mit rot geäderten Augen, dunklem Schnurrbart und einem markanten Adamsapfel, der beim Sprechen über seinem Stehkragen auf- und niederhüpfte.
    » Wenn nicht, wandern Sie bei verschärften Bedingungen so lange in den Karzer, bis Sie sich eines Besseren besonnen haben, Kadett!«
    Sechs lange Tage und sechs Nächte hatte er nun schon bei Wasser und trocken Brot, in Dunkelheit und Eiseskälte durchgehalten. Jeden Morgen war er erneut in das Zimmer des Kommandanten gerufen worden. Jeden Morgen hatte er trotzig auf die Europakarte mit ihren festgefahrenen Fronten gestarrt, den Befehl des Kommandanten ignoriert und geschwiegen.
    So saß er denn bei Anbruch des siebten Tags auf seiner Pritsche, die Decke um die Schultern geleg, und blickte durch das Guckloch des ebenerdigen Kellerfensters auf den Kasernenhof hinaus. Wie jeden Morgen sah er die unzähligen Stiefelpaare der Kadetten, die zum Appell antraten, im Schnee scharrten und darauf warteten, daß er zu Kreuze kroch.
    Nach einer Weile hörte er Schritte auf der Kellertreppe. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, und die Tür wurde aufgestoßen.
    » Zum Kommandanten, rausgetreten!«
    Karl sprang von der Pritsche und trat auf den Gang hinaus. Der diensthabende Kadett schubste ihn unsanft vor sich her, die Kellertreppe hinauf und den Korridor entlang.
    » Mach endlich deinen Kotau vor Sokolowski, Bürschchen. Sonst machen wir dir das Leben hier zur Hölle. Wegen einem Judenhaberer, wie du einer bist, wollen wir nicht jeden Morgen strafexerzieren!«
    Sein Widerwille, Sokolowski um Verzeihung zu bitten, war so stark, daß er mit den Zähnen knirschte.
    » Lieber will ich tot sein…«
    Als Karl das Zimmer des Kommandanten betrat, lehnte Sokolowski schon am Schreibtisch. Er hatte sich die pomadisierte Haartolle so hingekämmt, daß sie die Metallplatte an seiner Schläfe verdeckte. Neben ihm lag unübersehbar das Corpus delicti, der zerbrochene Stock. Karl hatte keine Angst vor ihm. Er war mit sich

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