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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Akt klassischer Musik. Habe ich Sie richtig verstanden?«
    Die junge Fotografin nickte.
    » Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie lange sich schon jedes Opernhaus der Videotechnik bedient. Gerade bei modernen Opern haben viele Musiker mit Spezialinstrumenten im Orchestergraben keinen Platz und sind, verteilt auf alle Stockwerke des Hauses, mit dem Dirigenten nur über Kameras, Monitore und Mikrofone verbunden. Auch Teile des Chors und der Bühnenmusik sind backstage auf die Videotechnik angewiesen.«
    Während er hinüber zum Konzertflügel schritt und die komplizierte Operntechnik erklärte, sprach er schon längst nicht mehr nur zu ihr und den Presseleuten im Atelier, sondern bezog, eingefangen von einem Halbdutzend TV-Kameras, auch die Musiker der New Yorker Philharmoniker mit ein. Sie hatten inzwischen, wie auf der Projektionsleinwand zu sehen war, im Lincoln Center an ihren Monitorpulten Platz genommen.
    » Guten Morgen, meine Herren.«
    » Good morning, Maestro«, schallte es ihm über den Atlantik entgegen.
    Herzog blickte auf die Studiouhr. » Wir haben nicht viel Zeit. Bei Ihnen ist es zwar jetzt erst neun Uhr morgens, bei uns in Nizza aber schon früher Nachmittag. Doch bevor wir mit der Probe beginnen, holt mir doch mal unseren trefflichen David Singer vor die Kamera. Wir haben hier eine ungläubige Thomasina, die ihre Zweifel angemeldet hat.«
    Er setzte sich an den Flügel und wartete, bis eine Kamera den Konzertmeister der New Yorker Philharmoniker eingefangen hatte.
    » Good morning, Maestro, what can I do for you?«
    Herzog nickte ins Objektiv. » Können Sie mich gut empfangen?«
    » Zum Greifen nahe.«
    » Ich würde Ihnen gern die Hände schütteln, aber leider ist die Technik noch nicht soweit. Für das Divertissement zu vier Händen Opus 54, das Schubert für zwei ungarische Komtessen komponiert hat, müßte es aber reichen.«
    Was er seinen Zuhörern verschwieg, war, daß er dieses vertrackte Klavierstück tags zuvor mit dem Konzertmeister der New Yorker Philharmonikern geprobt hatte, um es anderntags als Kabinettstückchen der Presse vorzutragen. Er wartete, bis der Konzertmeister an einem Flügel Platz genommen und sich die Kameras auf sie beide und ihre Hände eingestellt hatten.
    » Dann mal los, Mr. Singer. Die Musik schwebt über dem Getümmel! Un poco più mosso…«
    Er übernahm die Oberhand. Die ersten Takte kamen fast ein wenig überstürzt, wurden jedoch von Mr. Singer auf der anderen Seite des Atlantiks kontrapunktisch aufgefangen und gestützt. Danach tauchte das zierliche Thema in immer neuen Varianten auf, erst in seiner, dann in Mr. Singers Hand, die er wiederum mit flinken Sechzehnteltriolen umfing, während jener spielte, als improvisierte er auf einem Zimbal. Bald hatten sich die beiden Pianisten eingespielt und trieben über mehrere tausend Kilometer hinweg musikalische Konversation auf allerhöchstem Niveau, so als säßen sie auf der Klavierbank nebeneinander.
    Herzog triumphierte. Er schloß die Augen. Das vierhändige Divertissement, das er mit Franziska früher oft gespielt hatte, ließ ihn Kameras, Presse, Scheinwerferlicht und Atelier vergessen. Er konnte buchstäblich den Zederngeruch der holzvertäfelten Bibliothek in Donnerskirchen riechen, in der sie es gemeinsam einstudiert hatten. Es war eines ihrer Lieblings- und Paradestücke. Vogelgezwitscher und Bienensummen drangen aus dem Garten durch die offene Terrassentür, während sie spielten, und von fern war das rhythmische Aufkreischen einer Säge zu hören, mit der die Landarbeiter des Hofrats Holzpfosten für die Rebstöcke zurechtschnitten. Franziskas Spiel hatte etwas Sprühendes, Lebhaftes, und oft schienen ihr die Finger davonzulaufen. Dann bügelte er ihre Fehler mit virtuoser Fingergegenwart aus, ohne daß der Spielfluß stockte. Überstrahlt vom Sonnenlicht auf der Terrasse, spiegelten sie sich in den Vitrinenscheiben der Bücherregale, zwei Kinder, die in ihr vierhändiges Spiel so versunken waren, als wäre ein Schleier über ihrer beider Seelen geworfen, der die übrige Welt um sie herum ausschloß.
    Fast hätte er seinen Einsatz verpaßt, so sehr war er in Gedanken an damals. Während Mr. Singer jenseits des Atlantiks zu der trioartigen Episode in d-Moll überleitete, in die er seine trauermarschartigen Klängen mischte, bildete er sich ein, Franziska säße neben ihm wie früher, barfuß und in einem weißen Leinenkleid, ein mädchenhafter Engel mit ihren dreizehn Jahren, ebenso scheu wie schön. Sie

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