Augenblick der Ewigkeit - Roman
sie sich mit ihren Instrumentenkoffern unter die Orchestermusiker gemischt und gelangten mit der Nachhut unbehelligt an den Security Guards vorbei. Sie versteckten sich im obersten Rang und verfolgten im Schutz der Dunkelheit die Probe.
» Ziffer 730, 4. Takt vor W…« Seit einiger Zeit schon repetierte Herzog immer wieder die gleiche Stelle. » …Legato und dann ein Crescendo sempre– bis zum Fortissimo.«
Mit ausgebreiteten Armen schwebte er auf einer Filmleinwand über dem Orchester. Noch war er mit der Lautstärke nicht zufrieden. » Ich möchte wissen, wie viel Fortissimo ich für das Finale erwarten kann. Geben Sie mir noch einmal die beiden letzten Akkorde, mit aller Kraft.«
Es erklangen Tuttischläge und Fanfarenklänge, die Joachim bis in die Haarwurzeln erbeben ließen. Er brauchte dringend einen Drink und etwas Kräftiges zum Frühstück. Weshalb hatte er sich bloß in diesen Konzertsaal schleppen lassen? Er lehnte sich zurück und wartete ergeben, daß sein Herz anfing zu rasen und man ihn mit einem Kreislaufkollaps in die Notaufnahme einlieferte.
Abermals klopfte Herzog ab. » Nein, nein– keinen Krawall. Das ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ich will dabei einen absolut schönen Klang, mit der größtmöglichen Lautstärke. Zeigen Sie es mir!«
Wieder fuhr der Taktstock nieder, und endlich kamen die Schlußakkorde wie Donnerschläge. Fanfarenklänge riefen zum Jüngsten Gericht.
» Cheers!« Joachim hob das Glas und prostete Franziska zu. Er kippte den doppelten Bourbon wie eine Arznei und wartete auf die Reaktion. Ein Flash ging durch ihn hindurch. »Jetzt fühle ich mich besser.«
Die Kellnerin brachte Ham and Eggs mit Toast, in flüssige Salzbutter getaucht. » Enjoy!«
Ihre Aufforderung klang wie ein Befehl. Hungrig fiel er über sein Frühstück her. Franziska rührte Zucker in ihren Tee und sah ihm eine Weile schweigend zu. » Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse wegen des Überfalls heute morgen.«
Joachim schluckte und schüttelte den Kopf. » Ich wußte gar nicht, daß er so traumhaft gut Klavier spielen kann.«
Sie saßen an einem Marmortisch, der mit braunem Packpapier gedeckt war. Vor ihnen stand ein Glas mit Buntstiften, um damit herumzukritzeln, solange man auf das Essen wartete.
» Er spielt wirklich wunderbar. Alle glaubten, Karel würde seinen Weg als Klaviervirtuose machen. Papa schickte ihn nicht nur aufs Konservatorium in Wien, er verschaffte ihm in den Semesterferien die besten Lehrer, die zu haben waren. Er setzte seinen ganzen Ehrgeiz dran, aus Karel zu machen, was ihm selbst verwehrt geblieben war.«
» Und warum hat er das Klavierspiel aufgegeben?«
» Darüber wollte er mit keinem sprechen.«
Joachim blickte Franziska fragend an. » Aber mit Ihnen hat er darüber gesprochen.«
» Wie kommen Sie darauf?«
» Weil er Ihnen alles anvertraut hat, so wie Sie miteinander standen.«
Franziska runzelte die Stirn. Selbst wenn er tausendmal sein Sohn war: Was ging es ihn an, wie sie und Karel damals » standen«! Sie trank ihren Tee und schwieg.
» Warum sagen Sie nichts, Franziska?«
Unwillig schüttelte sie den Kopf. Er hatte kein Anrecht auf ihre Geschichte. » Fragen Sie ihn doch selbst!«Ihre Stimme klang hart und abweisend.
» Entschuldigen Sie, aber ich wollte nicht unhöflich oder indiskret sein. Nur, mein Vater und ich haben seit fünfzehn Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt.«
» Dann wird es allmählich Zeit. Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen vorgefallen ist, aber nach dem, was ich bei der Probe heute morgen gesehen habe, sollten Sie sich schleunigst zu ihm auf den Weg machen…« Sie schaute ihn lange an. » …er macht es nicht mehr lang.«
Joachim starrte vor sich hin, während Franziska in ihrer Tasse rührte. Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. Der Lärmpegel um sie herum stieg. Immer mehr Leute drängten herein, so daß die Bedienung mit ihrem Tablett kaum durchkam. Schließlich legte Franziska ihren Löffel zur Seite und schaute Joachim an.«Also gut! Was wollen Sie wissen?«
Joachim dachte kurz nach. Dann schob er seinen Teller zur Seite, nahm einen Kreidestift aus dem Glas und zog ein paar Linien quer über das Tischtuch, die er in rascher Folge mit Noten bekritzelte.
» Ich war kaum sechs Jahre alt…«
» Wann war das?«
» …kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir hausten zu dritt bei meinen Großeltern in einer winzigen Bude. Mein Vater hatte Auftrittsverbot, bis er sich dem Entnazifizierungsverfahren
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