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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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unterzogen hatte, und hockte den ganzen Tag zu Hause herum, während meine Mutter in einem Offizierskasino für die Amis sang, damit wir was zu essen hatten. Im Erdgeschoß stand ein altes Klavier, mittendrin in dem beengten Durcheinander. Und ich versuchte, darauf zu üben, wie Kinder eben üben, die Tonleiter rauf und runter. Er setzte sich zu mir und hörte sich mein Geklimper eine Zeitlang an. Dann nahm er mich zwischen seine Beine und legte meine Hände auf die seinen, während er die kleine Etüde hier spielte…« Er deutete auf die Noten, die er auf das Packpapier gekritzelt hatte. » …das Thema dieser mährischen Tanzweise. Ein kleines Musikstück, das an archaische Kirchenmusik und alte Skalen erinnert, geschrieben in einer Dur/Moll-Kombination, die das Ganze in einer harmonischen Schwebe läßt. Anklänge an die sogenannte › Zigeunertonleiter‹ sind darin enthalten, zum Beispiel die übermäßige Sekunde vor der erhöhten Quart, oder hier, wo das Thema von a-Moll nach G-Dur moduliert…«
    Franziska nahm ihm den Kreidestift aus der Hand, fügte Tonart und Taktvorzeichen hinzu.
    » Wow! Sie kennen sich aber ziemlich gut aus.«
    » In den fünfziger Jahren, als er mich in Stockbridge besuchte, wollte er etwas Größeres daraus machen. Er nannte es › Variationen über ein mährisches Kinderlied‹.«
    » Ich wußte gar nicht, daß er auch komponiert hat.«
    » Ich sagte Ihnen doch schon, Sie wissen wenig über Ihren Vater. Darf ich?« Sie riß das Notengekritzel aus dem Tischtuch, faltete es und steckte es ein. Dann winkte sie der Kellnerin und legte ein paar Dollarnoten auf den Tisch.
    » Sie sind mir noch das Ende Ihrer Geschichte schuldig. Was war also mit dem Klavierspiel?«
    » Es war dieses Kinderlied, das er versuchte, mir damals beizubringen. Nachdem er es ein paarmal, mit meinen kleinen Händen huckepack, wiederholt hatte, zog er seine zurück und forderte mich auf, es allein zu versuchen. »
    » Genauso hat er auch mir das Klavierspielen beigebracht! Ich hatte kaum die ersten Takte angeschlagen, da sprang er auf und fuhr mich an, ich soll gefälligst aufhören, ich würde es niemals lernen. Und als ich ihn daraufhin fassungslos angeschaut habe, schrie er nur noch lauter: › Verdammt, weil ich es auch nie gekonnt habe!‹ So völlig außer sich habe ich meinen Vater nie wieder erlebt.«
    Franziska stand auf und drückte Joachim einen der beiden Instrumentenkoffer in die Hand.
    » Dann kommen Sie, lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang machen durch den Central Park. Sie haben doch Zeit?«
    Rollschuhläufer kamen ihnen auf der Mall entgegen, kurvten im waghalsigen Slalom über den Asphalt. Amateurbands spielten im Schatten der Ulmenallee, und auf den Teichen ließen die Kids ihre kleinen Segelboote schwimmen. Franziska setzte sich auf einen der rostroten Felsen, der aus der » Großen Wiese« am Rande des » Ponds« wie ein Flußpferderücken herausragte und heiß wie eine Herdplatte war. Es war ein schwüler Sommertag, und in der Luft lag der faulige Geruch von abgestandenem Wasser, der Franziska an schmelzendes Sahneeis und nußbraunes Sonnenöl erinnerte, an nackte Haut und geheime Spielchen im Schilfdickicht, an Fußabdrücke im geschmolzenen zähflüssigen Teer und feinen grauen Uferschlick zwischen den Zehen, an Mückenstiche, Sonnenbrand und an den heißen Gummi eines aufgepumpten Autoreifens, mit dem sie im Neusiedler See schwimmen gelernt hatte.

Neusiedler See – Sommer 1922
    In jenem Hitzesommer waren sie und Karl besonders glücklich gewesen, zugleich aber auch verwirrt wie in einem Alice-im-Wunderland-Traum, der heimliche Losungsworte enthielt, mit denen sie, wenn niemand sie belauschte, Einlaß in die geheimsten Zimmer und verwunschensten Kammern fanden, die Kindern sonst verschlossen waren.
    Die Sommerferien waren für Franziska wie ein Wunder, nachdem sie in der Wintersaison in Wien miterleben mußte, wie Karl sich veränderte und er sie kaum beachtete, sich in sich selbst zurückzog und seine Zeit mit Büchern und Partituren aus der Bibliothek der Musikhochschule verbrachte. Er wurde von Tag zu Tag unausstehlicher, kam oft abends nicht nach Hause und klaute Geld aus den Jackentaschen ihres Vaters. Als sie ihn dabei ertappte, log er und verfiel in tagelanges Schweigen. Er absolvierte zwar noch regelmäßig seine Unterrichtsstunden am Konservatorium, auch das tägliche Probenpensum am Klavier, aber ohne allzu großen Enthusiasmus. Wenn sie ihn unten in der Bibliothek üben

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