Augenblick der Ewigkeit - Roman
voneinander in blinder Wut, aber nichts konnte sie trennen, seit er ihr damals vor » einer Zeit und zwei Zeiten und einer halben Zeit« begegnet war. Er murmelte die rätselhaften Worte aus dem Buch Daniel leise vor sich hin, die er ihrer Vagheit wegen liebte.
Maria zog den Reißverschluß ihrer hautengen Jeans zu, die so tief auf ihrer Hüfte saßen, daß ein schmaler Streifen ihres flachen Bauchs und ein kleiner Rand des Höschens zu sehen waren. » Ich wünschte mir, er könnte uns verzeihen und nach Hause kommen.«
» Und was, wenn du an meiner Stelle…« Er brach ab und blickte auf den Fluß hinunter, auf dem ein Containerschiff ein weit gespanntes V in das braune Wasser schrieb.
» Ja…« Maria zögerte, um ihm Gelegenheit zu geben, den angefangenen Satz zu beenden. Er sah die Sorge in ihren Augen und ahnte, was sie in ihm sah: einen alten Mann, der glaubte, allen beweisen zu müssen, daß er noch immer der junge Himmelsstürmer von damals war.
» Vielleicht könntest du ihn darum bitten?« Er schlug die Augen nieder und sprach sehr leise. In seiner Stimme lag etwas Dringliches, das ihr zeigen sollte, wie wichtig es ihm war.
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, wie immer, wenn sie sarkastisch wurde. » Hast du ihn etwa damals sitzenlassen oder ich? Er hat mir das nie verziehen, und deshalb habe ich keine Chance.«
Sie hatte recht. Schließlich hatte sie seinen Sohn mit ihm betrogen.
» Manchmal gäbe ich einiges darum, es wäre nicht passiert.«
Er schwieg und nahm statt dessen ihre Hand. Sie schmiegte sich an ihn und hauchte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Bartstoppeln seiner Wange. Seit vierundzwanzig Stunden hatte er sich nicht mehr rasiert.
Das Lufttaxi kippte mit der Nase nach vorn, überflog in geringer Höhe die Manhattan und die Brooklyn Bridge, über die der abendliche Berufsverkehr floß, und setzte auf dem Downtown Manhattan Heliport, Pier 6 & East River, zur Landung an. Maria überprüfte im Schminkspiegel noch einmal ihr Make-up, legte etwas Rouge auf und preßte die Lippen zusammen, um den Lippenstift gleichmäßig zu verteilen. » Wenn ich bei Joachim auftauche– er wirft mich hochkantig hinaus!«
Die Stewardeß öffnete die Einstiegsluke, und ein Schwall feuchtwarmer Tropenluft drang in die Kabine, der Herzog fast den Atem nahm. Draußen war es trotz der Abenddämmerung schwülheiß. Dicke Regenwolken zogen von Süden her über die Stadt. Sein Kopf dröhnte. Er war vom Fluglärm so benommen, daß ihm das Geräusch des Verkehrs auf dem East Side Express vorkam wie ein sanfter Wasserfall. Oder war es sein eigenes Blut, das in seinen Ohren rauschte, weil der Pfeifton unerträglich angeschwollen war?
Der Teerbelag auf dem Landeponton, der einige Meter in den East River ragte, war in der Hitze geschmolzen. Tote Fische im Brackwasser verpesteten die Luft. Übelkeit stieg in ihm auf. Er versuchte, beim Gang zum Ankunftspavillon nicht in eine der klebrigen Teerpfützen zu treten. Seine Knie gaben nach, und eine Sekunde glaubte er, ohnmächtig zu werden. Doch der Anfall ging rasch vorüber. Er linste zu Maria hin, die sein Straucheln nicht bemerkt hatte, weil sie mit ihren Espadrilles im Teer hängengeblieben war.
Krausnik hatte ihnen zum Empfang eine Stretchlimousine mit Chauffeur geschickt. Herzog ließ sich in die Lederpolster fallen, während Maria eine Flasche » Mattoni« aus dem Bordkühlschrank holte, ein Sprudelwasser, das sein Konzertagent, in besonderer Wertschätzung für ihn, extra aus der Tschechoslowakei eingeflogen hatte. Er leerte das Glas mit kleinen Schlucken, schmeckte die alkalische Säure auf seiner Zunge, die ihn an seine Kindheit erinnerte, und blickte durch die verspiegelten Fenster auf die Fifth Avenue hinaus, wo Ströme von Angestellten aus den Büros quollen und in den Schächten der U-Bahnstationen versickerten.
Er mochte diese Stadt nicht. Sie war gehässig zu ihm gewesen, parteiisch und hatte ihn schlecht behandelt. Wann immer er konnte, machte er einen Bogen um New York und trat viel lieber in Tanglewood, Boston oder Philadelphia auf.
Der musikalische Ohrwurm meldete sich zurück, verdrängte den Tinnitus in seinem Kopf. Er schloß die Augen und lauschte in sich hinein. Vielleicht sollte er die Sache mit Joachim etwas leichter nehmen. Er hielt ihr sein leeres Glas hin.
» Noch einen Schluck?« Maria schenkte von dem Wasser nach. Danach fühlte er sich leichter. Der erdige Geschmack auf seiner Zunge ließ ihn plötzlich an seine Mutter denken, als
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