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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Deutz vorstellte, Eigentümer der Felder und der Obstplantage, und den Vater nach Weg und Ziel fragte, hatte Karl nur Augen für das Mädchen, das hoch aufgerichtet auf dem Rücken des Ponys saß, auf der Faust dieses geheimnisvolle, rostbraune Tier. Es trug ein weißes, mit Spitzen besetztes Leinenkleid, unter dem die braunen, in roten Stiefeln steckenden Beine hervorsahen. Um den Hals hatte es sich eine rote Schleife gebunden, und auf seinem dunklen Haar saß ein Strohhütchen mit flatternden bunten Bändern, von denen einige für den wilden Ritt am Kinn zusammengeknotet waren. Unter der Hutkrempe glänzten dunkle, lang bewimperte Augen und musterten ihn von Kopf bis Fuß. Von seinem geheimnisvollen Zauber angerührt, lächelte Karl verlegen. Das Mädchen lächelte zurück. Er holte die Birne, die er aus dem Gras geklaubt hatte, aus der Tasche und hielt sie ihm hin. » Willst du?«
    Das Mädchen zögerte. Dann griff es mit der freien Hand nach der Frucht. Ohne ein Wort des Dankes wendete es sein Pony und stürmte mit dem Vogel auf der Faust die Wiese hinunter. Von einer merkwürdigen Unruhe ergriffen, schaute Karl dem Mädchen nach, bis der Vater ihm die Hand auf die Schulter legte.
    Der Junge verabschiedete sich artig. » Und wo spielen Sie heute zum Tanz auf?«
    » Ab fünf Uhr, in Pettermanns Gasthaus drüben in Riedersdorf.«
    » Das ist ja nicht weit vom Gut. Wir kommen pünktlich!«
    Er riß sein Pferd herum und jagte dem Mädchen hinterher. » He– so warte doch auf mich!«
    Karl sah, wie er es bald eingeholt hatte und die Kinder aufjauchzend die Straße hinuntergaloppierten. In wildem Verlangen nach ihrer Ungebundenheit wäre er ihnen am liebsten nachgelaufen, wenn die Hand des Vaters ihn nicht behutsam zurückgehalten hätte.

New York – Montag, 5 p.m.
    Wußtest du, daß ich als Kind fliegen konnte?« Als er auf das Häusermeer der Bronx hinunterblickte, hatte er sich plötzlich so intensiv seiner Kindheit erinnert, daß die wenigen Minuten, die der Helikopter vom JFK Airport hinein nach Manhattan brauchte, sich zu einer Zeitspanne ausdehnte, die menschlichen Maßen entrückt zu sein schien. Was auch immer der Grund für diesen Tagtraum gewesen sein mochte, er stand offenbar in Zusammenhang mit der beunruhigenden Tatsache, daß er in wenigen Tagen achtzig Jahre alt werden würde.
    Herzog streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. Das überwältigende Glücksgefühl, das ihn erfüllte, hatte eine merkwürdige Ähnlichkeit mit jener Ekstase, in die er sich jedesmal versetzt fühlte, wenn er vor einem Orchester stand. Nie hatte er jemandem diese berauschende Erweiterung seiner Sinne eingestanden, die ihn überkam, wenn er sich, in Musik getaucht, als ihr eigentlicher Schöpfer und Urheber fühlte, nicht einmal Maria, die neben ihm saß.
    » Können das nicht alle Kinder, bis zu einem gewissen Alter?«
    » Ja, aber bei den meisten ist es nur Einbildung.«
    » Und bei dir etwa nicht?«
    » Bei mir war es kein Traum, sondern Wirklichkeit. Ich weiß noch ganz genau, wie ich über den Baumkronen der Obstbäume schwebte…« Er wollte die Augen schließen, um sich wieder als jenes vogelähnliche Geschöpf zu träumen, das mühelos die Erdenschwere überwinden und zum Erstaunen seiner Mitmenschen schweben konnte, aber Maria insistierte. » Wie alt warst du da?«
    » Ach, das ist alles schon so lange her…« Er wischte sich die Stirn und lauschte auf das rhythmische Klopfen der Rotorgeräusche des Helikopters. Der Pfeifton in seinem rechten Ohr war wieder stärker geworden, sein kleiner Lep ohr ello wie er ihn nannte, der ihn warnte, wenn er sich übernommen hatte. Es war nicht die Satellitentechnik, die Schwierigkeiten machte. Es hatte Streit gegeben zwischen Krausnik, seinem Impresario, und dem Orchestervorstand um die Beteiligung an den Fernsehrechten, denn das Satellitenkonzert sollte für ein Milliardenpublikum in alle Welt übertragen werden. Er hatte daraufhin die Orchesterprobe mit den New Yorker Philharmonikern, die er am Morgen von seinen Studios in Nizza aus geleitet hatte, sofort abgebrochen und war mit seinem Privatjet nach New York geflogen. Die Dassault Falcon-10 brauchte für den Flug über den Atlantik nicht länger als ein reguläres Passagierflugzeug, so daß er am Nachmittag auf dem Kennedy Airport gelandet war, um den Streit zu schlichten und einige noch offene künstlerische und technische Details des Konzerts, das am Wochenende im Lincoln Center stattfinden sollte, persönlich zu

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