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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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dann die Ansage eines Karambolagewurfs. » Raffa!«
    Vor dem L’Olivetto, einer kleinen italienischen Bar im Schatten alter Platanen, spielten ein Dutzend einheimischer Müßiggänger Boccia auf dem Sandplatz. Sie hatten die Jacken abgelegt, die Hemdsärmel hochgekrempelt und Baskenmützen wie schwarze Heiligenscheine auf den Köpfen.
    Ein hochgewachsener Spieler deutete auf die gegnerische Kugel, die dem Cochennet, der roten Zielkugel, am nächsten lag. Dann nahm er Anlauf und holte aus. Mit weicher, zeitlupenartiger Technik schwang er den Arm und ließ die Kugel mit Effet über die Fingerkuppen abrollen, um ihre Flugbahn zu stabilisieren. Es erklang ein scharfes metallisches Klicken, und die gegnerische Bocciakugel spritzte aus dem Spielfeld heraus. Es war ein Meisterwurf, und alle, selbst seine Gegenspieler, sprangen auf und klatschten.
    Er hatte Yves Montand sofort erkannt, denn er hatte ihn erst kürzlich in einem Fernsehfilm gesehen, in einer alten Hollywood- Schnulze aus den frühen sechziger Jahren, Lieben Sie Brahms nach Françoise Sagan, die seinen Nimbus als Homme à Femmes bekräftigte. Er war schlank, überragte die anderen um Haupteslänge und hielt sich, wie manche hochgewachsenen Männer, seinen Mitmenschen gegenüber ein wenig zugeneigt.
    Herzog wurde geradezu neidisch, mit welcher Selbstverständlichkeit die einfachen Leute mit dem Weltstar umsprangen, und umgekehrt, wie ungezwungen jener auf ihre derbe Kumpelhaftigkeit reagierte, sie mit Respekt behandelte, aber auch seine Scherze mit ihnen trieb, wie jemand, der sich ihrer Sympathien gewiß sein konnte.
    Denn er selbst war alles andere als kumpelhaft und locker, was seinen Umgang mit anderen Menschen anbelangte. Als Dirigent und Orchestererzieher forderte er oft Kritik durch Handlungen heraus, die den Stempel seiner autoritären Persönlichkeit trugen und keinen Widerspruch duldeten. Selbst wenn die Menschen ihm zujubelten, lag stets eine gewisse Distanz zwischen ihm und ihnen. Die Ovationen des Publikums, so rasend sie sein mochten, empfand er als eine Art Huldigung, die er entrückt entgegennahm, und selbst wenn er mitten unter ihnen stand, das Blitzlichtgewitter der Reporter auf ihn niederprasselte und sie ihn mit ihren Autogrammwünschen bestürmten, hatte er nie das Gefühl, von den Menschen wirklich geliebt zu werden.
    » Boccia punto!«
    Die letzte Kugel rollte über den Sand und blieb in kurzem Abstand von dem Cochennet liegen. Die Männer brachen wieder in Geschrei aus und versuchten, die Abstände der einzelnen Kugeln zum Cochennet mit gespreizten Fingern auszumessen. Wie beim Murmelspiel kleiner Kinder schlug die Stimmung um, und sie fingen an, sich anzuschreien.
    Da sah er, wie der Filmschauspieler sich aufrichtete, um die Gemüter zu beruhigen. Ein Sonnenstrahl fiel durch die Blätter der Platanen und hüllte seinen Kopf in einen Strahlenkranz. Für den Bruchteil eines Augenblicks trafen sich ihre Blicke. Der Filmstar lächelte ihm unsicher zu, wie einer, der ihn zu erkennen glaubte, ohne gleich zu wissen, wer er war. Dann aber ging ein Leuchten über sein Gesicht, und er hob wie zum Musikauftakt den Arm und nickte Herzog zu, während er dessen Art zu dirigieren imitierte. Dabei öffnete sich langsam seine Hand, als wollte er kleine Seelchen fliegen lassen, die darin gefangen waren, und seine Finger formten sich zu einer segnenden Gebärde.
    Das Déjà-vu traf Herzog wie ein Schock. Die Geste erinnerte ihn an ein Ereignis, das tief in seinem Gedächtnis schlummerte und das vorerst nur schemenhaft und vage blieb und keine konkrete Gestalt annahm, da seine Augen noch voll Sonne waren.
    Er setzte sich auf eine Bank und schlug die Hände vors Gesicht, bis eine goldene Statue vor seinem inneren Auge erschien, die einmal auf Franziskas Nachttisch gestanden war und die sie ihm, als einen Teil von sich, mit ins Exil gegeben hatte. Mit geschlossenen Schwingen stützte sich ein Engel auf eine Stele, auf der der Name » Hermes« stand, während seine freie Hand ins Nirgendwo wies, wohin er als Psychopompos die Seelen der Verstorbenen geleitete.

Prag – Winter 1925
    Er wachte auf, weil er fror, und knipste die Nachttischlampe an. Der Engel stand auf der Konsole neben seinem Bett, mit geschlossenen Schwingen und seinem sanft ausgestreckten Arm. Er brauchte eine Weile, bis er sich im Durcheinander seiner verworrenen Gefühle zurechtgefunden hatte. Auf der einen Seite empfand er eine törichte Freude über den Einfall, Pawel Sixta mit dem Engel

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