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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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müssen!
    Ob ich überlebte, war mir gleichgültig. Das heißt, es war mir mit einem Mal weniger gleichgültig: Ich wollte sie wiedersehen - man will immer wiedersehen, was einem gefällt.
    Nein, es war viel mehr, es war wie eine plötzliche starke Kraft in mir. Ich konnte es mir nicht anders sagen: Kehr um! Reit ihr nach!
    Ihr Bild stand vor mir, als schwebte sie vor meinem Pferd in der Luft. Ihre schlanke Gestalt, ihre feinen Finger, mit denen sie die Last auf ihrem Haupt festgehalten hatte, ihre hellen Haarspitzen unter dem dunklen Tuch, ihre glatte Haut, ihr wiegender Gang, als ich zurückgeblickt hatte, mich sogar mehrfach nach ihr im Sattel umgewandt hatte, ihr Gesicht mit den langen, dunklen Wimpern, den großen braunen Augen, ein Lächeln, warm und -
    Ein unaussprechbar süßes Gefühl des Glücks begann sich in mir auszubreiten, groß, als strömte in mich ein unerschöpfliches Meer. Ich kannte meine Gedanken und Gefühle nicht wieder. Ich kannte mich selbst nicht mehr, als ich auf die Schrecken vor mir zuritt und mir das Mädchen vor Augen blieb.
     
    Die Landschaft um Augsburg ist sehr flach. Wälder, Felder und Moore wechseln sich ab. Dazwischen eingestreut sind die Höfe der Herren und ihrer Hintersassen, Höfe, die jetzt brannten. Andere reckten schon ihre verkohlten Reste in den Himmel. Ringsum stiegen Rauchsäulen auf.
    Je näher man dem Lech kommt, in dessen Nähe Augsburg liegt, und dabei wie ich die große Straße meidet, desto öfter verlegen Moore den Weg, die von Flocken weißen Wollgrases übersät sind, oder Torfstiche werden zu Hindernissen. Ein ganzes Gezweig von Gräben verwirrte mich - wohin ich mein Pferd auch lenkte, immer gelangte ich an schwarzes Wasser, das unergründlich weiß die Wolken des Himmels spiegelte. Erst als ich mein Pferd sich selbst überließ, trug es mich aus den Sümpfen heraus.
    Ich trieb mein Tier an.
    Wie das Mädchen wohl hieß?
    Gott würde sie beim Namen rufen. Er wusste ihn, er hatte sie ja bei ihrem Namen ins Leben gerufen. Sie war nicht namenlos. Niemand ist namenlos.
    Aber das genügte mir nicht mehr!
    Ich roch, wie es von den arbeitenden Muskeln und aus dem schweißnassen Fell meines Rosses heraufdampfte. Ich hatte mein Pferd nie beachtet. Pferde nimmt man aus dem Stall des Herrn, wenn man einen Auftrag erhält. Sie haben Anspruch auf Hufeisen, Futter, Wasser, auf eine Decke. Wenn sie nass sind, werden sie abgerieben.
    Ich tätschelte das Pferd, das ein paar Mal heftig mit dem Kopf auf und ab fuhr. Ich freute mich darüber. Ich klopfte ihm die Flanken. Das Pferd wieherte.
    Ich wollte die Hand des Mädchens in meiner drücken. Ich wollte das Mädchen reden hören, wollte ihr Lächeln sehen, mir ihren Blick in meine Augen bewahren. Noch nie hatte ich ein Mädchen auch nur angefasst, oder eine Frau, nicht einmal den Stoff eines Gewandes. Ja, an die kühle, holzartige Greisenhand meiner Großmutter erinnerte ich mich noch. Das war die einzige Berührung, die ich je bewusst mit einem weiblichen menschlichen Wesen hatte: Meine Mutter war gestorben, als ich noch sehr klein war. Eine Schwester hatte ich nicht. Aufgewachsen war ich im Kloster. Mönche hatten mich erzogen.
    Die Sehnsucht überfiel mich wie ein Raubtier. Es war, als spürte ich die glatte Haut des Mädchens an meiner Wange. Allein die Vorstellung - und ich stellte es mir nachdrücklich vor -, wie mir das Mädchen zugelächelt hatte, verstärkte dieses süße Glücksgefühl, das ich noch nie gefühlt hatte. Ich sah auf einmal, wie sie sich nach mir umgedreht hatte. Sie hatte ihr blaues Tuch vom Kopf genommen - plötzlich war es blau - und mir damit lange nachgewinkt, ein blauer Schatten vor dem dunklen Rauch. War es so gewesen? Sicher nicht!
    Aber ich sah es ganz deutlich.
    Hatte sie mir nicht zuvor auch ihre Hand gegeben, ihre weiche, warme Hand? Sie hatte meine kurze Zeit festgehalten - oder hatte ich ihre Hand nicht mehr losgelassen? Sie hatte meine Hand kurz gedrückt. Hatte sie nicht auch mit den Lippen eine Bewegung gemacht, als wolle sie mich küssen? Ja, auch das sah ich ganz deutlich.
    Leben, leben, leben! Sie sollte leben. Auch ich wollte leben! Ich würde sie suchen und dann -
    Hörte ich nicht auf einmal die Lerchen jubeln über den reifen Feldern?
    Lerchen im August?
    Nein, es waren Pfeile, die ich schwirren hörte. Einer bohrte sich dicht vor meinem Pferd in den Boden, sodass es aufschrak und schnaubend auf die Seite drängte.
    Struppige, in Leder gekleidete Männer traten aus dem

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