Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
reiten und ihnen den Anmarschweg König Ottos verraten und die Stärke und Ordnung seines Heeres und seinen Plan für die Schlacht, den Herr Berthold kannte.
Nein! Alles wehrte sich in mir.
Aber Herr von Reisensburg hatte dann Geduld mit mir. Er fasste mich sogar an den Schultern, sein Bart war ganz nahe, Speichel traf mein Gesicht. Aber ich hörte kaum hin.
Meinen toten Lehrer Willibrod hörte ich stattdessen reden und fühlte, wie ich immer stiller wurde: Ja, ich würde es tun. Ich würde das Ende der Welt beschleunigen.
Ganz gleich, dass ich die Pläne König Ottos aus völlig anderen Gründen an die Ungarn verriet als Herr von Reisensburg. Der nämlich wollte durch eine Niederlage König Ottos Herzog von Bayern werden. Die fremden Reiter sollten Otto vernichten -
Ich aber wusste für mich, dass die Zeit der Könige wie der Herzöge und aller ihrer Gefolgsleute vorbei war, dass sie von einem Höheren vernichtet würden - gleichgültig, ob mit den ungarischen Reitern oder gegen sie. Denn auch die Ungarn würden vernichtet werden, von der nächsten Plage, die der Herr über die Menschheit ausgießen würde.
Größe, Sieg oder Niederlage - im Untergang war alles eins!
Dann geschah etwas sehr Seltsames mit mir.
Ich war wohl schon ganz in der Nähe des ungarischen Heeres. Unter Knattern, Dröhnen und Krachen brannte vor mir eine Kirche ab oder eine große Scheune, es war nicht mehr zu unterscheiden. Gerade als ich mein Pferd um das Hindernis lenkte, brach der Dachstuhl funkensprühend in sich zusammen. Fauchend trieben Flammen und Rauch über mich hinweg, es wurde dunkel, mir war, als müsste ich ersticken. Das Pferd war kaum zu halten.
Vor mir hörte ich Schreie: Fast wäre ich in eine Gruppe Flüchtender hineingeritten.
Sie trugen schwer an Säcken und Kisten und hatten offenbar keine Tragtiere mehr. Sie stoben zur Seite, als da plötzlich aus dem Rauch ein Reiter vor ihnen auftauchte.
Es waren verschreckte Menschen auf der Flucht.
Und da war nun ich. Aber ich war kein Ungar! So kamen sie näher und betrachteten mich erstaunt: »Kommt König Otto schon?«, fragte ein hochgewachsener Mann.
Ich achtete nicht auf ihn. Hinter ihm waren Frauen. Ich hatte Frauen und Mädchen nie beachtet.
Aber nun geschah Seltsames mit mir.
Da war ein Mädchen - ich musste mich zwingen, sie nicht ständig anzustarren, während der Fremde auf mich einredete. Ich konnte die Augen nicht abwenden von ihr. Ihre Haltung wirkte fast feierlich in all der Angst, in all dieser wirren Flucht. Als sie näher kam, eine Last auf dem Kopf, war es, als schritte sie an einem hohen Fest zur Kirche.
Dieses Mädchen war schön. Es packte mich wie mit Fäusten: Sie war unsagbar schön!
Sie trug ein ärmliches, sackartiges Gewand aus einem groben Stoff, der die helle Haut ihres Gesichtes noch feiner und glatter erscheinen ließ - ich hatte noch nie so feine Haut gesehen.
Den Fremden vernahm ich kaum. Er warnte mich weiterzureiten. Da vorn seien die Ungarn - mein Tod.
Das Mädchen hielt die Augen zumeist niedergeschlagen. Ich sah ihre langen, dunklen Wimpern. Ich sah ihren Arm und die schlanken Finger, welche die Last auf ihrem Haupt stützten. Unter dem groben dunklen Tuch, das sie um den Kopf gewunden hatte, traten leuchtend blonde Haare hervor. Sie war so rein.
Unsere Blicke trafen sich -
Der Fremde verstummte. Mit einem fast schmerzhaften Ruck wandte ich mich ihm wieder zu und dankte ihm für seinen Rat. Als ich dann dennoch in der Richtung weiterritt, vor der er mich gewarnt hatte, und ich zurücksah, bemerkte ich seinen empörten Blick und hörte, dass er mir etwas nachrief.
Mir war es gleichgültig. Ich dachte an das Mädchen.
Was würde mit ihr geschehen, wenn die Ungarn sie erwischten? Es war nicht auszudenken. Sie würden sich auf sie stürzen wie Tiere -
Mein Herz schlug. Es schlug auf eine Weise schmerzhaft, wie ich es noch nie erlebt hatte. Von einem Augenblick zum anderen drängte sich alles in mir, mich vor sie zu stellen, ihr Gesicht mit meinen Händen zu bedecken, meinen Arm um sie zu legen, meinen Atem mit ihrem zu vereinen. Für ihren Schutz würde ich mein Leben -
Was war mit mir geschehen?
Ich stöhnte laut auf: Würde sie von dem, was ich bei den Ungarn vorhatte, nicht noch stärker bedroht werden? Der Tod war mir - fast - gleichgültig gewesen, solange er nur mich bedroht hatte. Der Gedanke an meinen Lehrer hatte mir Kraft gegeben.
Aber jetzt schrie alles in mir - dieses Mädchen sollte nicht sterben
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