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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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Lanzen ausholen konnte, war der Werfer schon erstochen. Jetzt rächte sich erneut, dass die Ungarn weder Panzer noch Helm besaßen; ihre Lederkleidung, leicht und gut beim Reiten, bot keinen Schutz im Kampf Mann gegen Mann. Dagegen beschirmten Helme und Panzer die Reiter des Königs - die Hiebe der Äxte und ungarischen Reitersäbel prallten ab von ihren Brünnen, Helmen und Schilden. Spieße, Säbel und Pfeile verloren ihre Kraft.
    Am Fuße eines Hügels namens Gunzenlee, einige Steinwürfe vom Standort des Königs entfernt, auf der rechten Seite des Lechs, stand Ottos Hauptmacht. Hier erfüllte sich das Schicksal der Ungarn. Der König selbst, so wird gesagt, habe, als die Schlacht am schrecklichsten tobte und am Punkt der Entscheidung stand, die Heilige Lanze ergriffen, in deren Spitze ein Nagel vom Kreuz Christi eingeschmiedet ist, und sei mit ihr auf die Ungarn eingedrungen, dass sie fliehen mussten, ohne anhalten zu können. Und König Otto hatte Sieg und Ruhm.
    Dies alles geschah am Lechfluss, dicht beim Wasser der Paar, zwei, vielleicht drei Meilen vor der Stadt Augsburg in Richtung Süden, beim Hügel Gunzenlee, an einem Ort, den man Lechfeld nennt, am Tag des heiligen Laurentius, dem zehnten Tag des Monats August Anno Domini neunhundertfünfundfünfzig.
    Die Ungarn wurden verfolgt, erneut geschlagen, wo immer sie sich stellten, der letzte Reiterhaufen beim Überschreiten der Isar.
     
    Dies alles erfuhr ich in den folgenden Tagen. Denn während der Schlacht lag ich gefesselt unter meinem Strauch, einige Steinwürfe von der Stadtmauer entfernt, dort, wo ich Horca Bulcsu getroffen hatte, bei der großen Straße, hilflos auf feuchtem Erdreich im Gras, und wusste von nichts.
    Es ist furchtbar, gefesselt zu liegen. Gegen die Stiche der Ameisen und Stechmücken war ich wehrlos, ich schnitt allerlei Grimassen, um sie mir vom Gesicht zu halten, aber es half nichts; ich wälzte mich hin und her in der schwülen Hitze, um der Feuchtigkeit zu entgehen, die vom Boden her in meine Kutte eindrang, aber vergebens. Ich versuchte meine Finger und Zehen zu bewegen, aber die Fesseln um Hände und Füße waren zu straff und schnitten das Blut ab. Mein Rücken war ein einziger ziehender Schmerz. Ich versuchte die Riemen an einem Stein durchzuscheuern, aber sie glitten ab. Immer wieder versuchte ich mich aufzubäumen und fiel erneut kraftlos zu Boden.
    Natürlich war mir klar gewesen, dass die Ungarn dem König entgegenreiten und eine Schlacht beginnen würden - sie würden ihn überraschen, einkreisen, wie es ihnen ja beinahe gelungen wäre, und ihn besiegen. Das war der Sinn meiner Botschaft. Wie Heuschrecken würden sie dann über das Land herfallen und ihren göttlichen Auftrag ausführen, von dem sie nichts wussten und von dem auch mein Herr Berthold von Reisensburg nichts wusste. Berthold von Reisensburg würde Herzog von Bayern werden. Aber die Vernichtung der Welt würde weitergehen -
    Und ich in meinem Gestrüpp?
    Mich erfüllte eine träge Hoffungslosigkeit, und ich versank in einen Dämmerzustand.
    War es da nicht seltsam, dass mir in aller Not und Ungewissheit das Mädchen weiter im Sinn blieb? Das Mädchen, das irgendwo da draußen vielleicht jetzt auf den Knien lag und zu Gott betete und auf den Sieg König Ottos hoffte! Mit König Otto hatte ich ja auch sie verraten -
    Und wenn ich freigekommen wäre? Was hätte ich denn tun können? Erst später, als alles vorbei war und ich meine blutig und dick angeschwollenen Hand- und Fußgelenke betrachtete und unter Qualen versuchte sie zu bewegen, wusste ich, dass ich mich noch lange nicht von der Stelle hätte rühren können -
    Mein Pferd hatten die Ungarn mitgenommen.
    Noch aber lag ich gefesselt im Gestrüpp und hatte Angst. Ich weinte. Ich versuchte zu beten. Aber zum ersten Mal in meinem Leben gelang mir das nicht. Ich war zu unsicher. War ich schuldig? Hatte ich alles falsch gemacht? Ich hatte doch nur versucht, den Willen Gottes zu erfüllen und ihn ja vielleicht sogar erfüllt! Oder nicht? Und das Mädchen? Keine Antwort. Ich kannte solche Zweifel nicht. Hatte mir mein Lehrer Willibrod nicht immer alle Zweifel genommen? War es nicht der Teufel, der die Frommen in Zweifel stürzte?
    Bei jedem Rascheln in der Nähe, bei jedem Brummen einer Biene, bei jedem Knistern und Knacken im Unterholz, in das sie mich geworfen hatten, fuhr ich zusammen - hatten die fremden Reiter schon über den König gesiegt? Kamen sie schon zurück, um mich aufzuhängen?
    Der Tod! Auf ihn

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