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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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müsste ich mich vorbereiten, meine Sünden bereuen, die Sterbegebete sprechen. Ich versuchte es, aber ich brachte kein Wort heraus. Ich zitterte. Es war klar, es war das Mädchen, das mich verwirrte - hätte ich mich gegen die Anfechtung wehren müssen?
    Ich hätte gerne ihr Leben gerettet.
    Ich achtete nicht auf Durst und Hunger. Lange Zeit versuchte ich, sie mir vor Augen zu führen. Aber je angestrengter ich an sie dachte, desto mehr löste ihr Bild sich auf, als hätte ich sie nie gesehen. Und dennoch blieb neben aller Angst dieses süße Gefühl tief im Innern bestehen.
     
    Rufe, Geschrei, Gejohle: »Sieg! Sieg!«
    Reiter gerieten in mein Blickfeld. Sie trugen Panzer, Schilde und Schwerter - ich begriff es langsam: Der König hatte gesiegt, nicht die Ungarn.
    Wie war das möglich? Ein Sieg über die schrecklichen Boten Gottes! Sollte nicht die Welt untergehen?
    Als sie mich endlich fanden und meine Fesseln lösten, feierten sie mich wie einen der großen Märtyrer unserer Kirche. Es waren schwäbische Reiter, die mich zu ihrem Anführer brachten - trugen, muss ich sagen, denn gehen konnte ich nicht. Meine Hände und Füße waren taub, und nur langsam über Stunden und unter schrecklichem Kribbeln kehrte das Gefühl zurück. Gesicht, Hände und Füße waren verschwollen von tausendfachen Stichen.
    Dass ich König Otto verraten hatte, sagte ich den Männern natürlich nicht. Mein Gewand wies mich als den Boten eines Klosters aus, wie es unzählige Boten gab in dieser aufgewühlten Zeit.
    Ich wohnte in einem der überfüllten Klöster in der Stadt, wo ein Botenjunge nicht mehr Aufsehen erregte als ein Sperling. Kurze Zeit später hatten meine Befreier mich auch schon wieder vergessen.
    Weiß der Teufel, woher es die Menschen auf einmal hatten, dass Berthold von Reisensburg den König verraten hatte - ich weiß es nicht. Und zuerst war ich starr vor Angst: Würde mein Anteil aufkommen? Aber nach mir fragte auch weiterhin niemand.
    Der Ruhm des Königs war nach der siegreichen Schlacht vollkommen. Er wurde Vater des Vaterlandes genannt, und der Papst hat ihn Anno Domini neunhundertzweiundsechzig in Rom feierlich zum römischen Kaiser gekrönt.
     
    Einige Tage nach der Schlacht, als ich mich wieder frei von Schmerzen bewegen konnte und mein Gesicht kaum mehr geschwollen war, brachten sie drei Anführer der Ungarn nach Augsburg. Man hatte sie an einer Furt erwischt. Horca Bulcsu war unter ihnen. Ich war mit vielen Neugierigen vor den Mauern der Stadt, als das Urteil über die drei Gefangenen gefällt wurde. Es wurde sogleich vollstreckt.
    Man hängte sie auf.
    Als die Männer zum Galgen gebracht wurden, stand ich im Gedränge dicht am Weg, und Horca Bulcsu kam ganz nahe an mir vorüber. Er hatte kein Gold mehr am Leib, seine Kleidung war zerfetzt und er hinkte schwer. Sein Gesicht war bleich, und sein schwarzgrauer Bart gab ihm zusammen mit einer kaum verkrusteten Wunde über dem einen Auge ein noch wilderes Aussehen. Und diesen elenden Mann, der nun wie ein gewöhnlicher Dieb gehenkt wurde, hatte ich für einen Sendboten Gottes gehalten!
    Ich trug noch immer meine Mönchskutte, und vorsichtig wollte ich mich zur Seite stehlen, als er an mir vorübergeführt wurde. Aber er hatte mich bereits gesehen, und ich konnte deutlich merken, dass er mich erkannt hatte: mich, den Boten des Verrats. Niemand in Augsburg wusste das, nur er und ich!
    So stockte mir der Atem, als er mich im Schreiten streng ansah und eine Augenbraue hochzog. Ja, es schien, als verzögere er einen winzigen Augenblick den Schritt, sodass sich der Strick, an dem er geführt wurde, straffte. Eine atemlose Sekunde lang sah es aus, als wolle er etwas sagen. Dann erschien etwas wie ein Lächeln in seinem Gesicht, und er ging weiter.
    Was er auch immer war - ein ehrloser Dieb war er nicht!
    Warum hat er nichts gesagt? Immerhin hatte ich an ihn - wenn auch aus Gründen, die er nie begreifen würde - den König ausgeliefert: Und er wusste das! Sie hätten mich womöglich gleich dazu-gehängt! Vielleicht gönnte er dem Sieger der Schlacht am Lech einen unentdeckten Verräter in seinen Reihen - ich weiß es nicht.
     
    Die ungarischen Reiter waren nicht die apokalyptischen Reiter gewesen. Mein Lehrer Willibrod hatte geirrt. Bin ich ein Verräter gewesen? Ich zweifle heute, dass er meinen Ritt nach Augsburg gutgeheißen hätte.
    Die Welt ist nicht untergegangen und wird vielleicht noch lange nicht untergehen.
    Einerseits war ich wie befreit, als mir das klar

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