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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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Martin, bin ich geboren. Sechsundzwanzig Jahre werde ich heute alt. Am Martinstag werden alle Verträge zwischen Herren und Gesinde ungültig, dachte er weiter, werden Knechte und Mägde aus der Treue entlassen und können sich neue Herren suchen, wenn sie es wollen.
    Ein Jahr habe ich Zeit, mich vom Bann des Papstes zu lösen. Ein Jahr, um zu überlegen, ob ich Buße tue, nachgebe, zu Kreuze krieche.
     
    Gewaltige Grundpfeiler und Mauern stiegen im Nähertreten aus den Fundamenten des neuen Doms, ringsum türmten sich gestaltlose Steinblöcke. Der Bau ruhte. Aber im zeitigen Frühjahr würde man wieder die Meißel hören, ihr Picken, wenn sie die Quader aus den ungeschlachten Felsklötzen schlugen. Der König wusste, dass tief unten in den Gewölben in einem Sarg aus Stein sein Großvater Kaiser Konrad II. ruhte, der den Bau begonnen hatte; daneben lag sein Vater Kaiser Heinrich III., an den er sich kaum mehr erinnern konnte. Vier Jahre alt war Heinrich IV. gewesen, als man die Knie vor ihm, dem kleinen Jungen, gebeugt und ihn König genannt hatte.
    Ein König, den keiner ernst nahm. Aber wer sich des Kindes bemächtigte, hatte das Sagen im Reich. Der Sommertag am Rhein auf der Insel St. Suitberts Werth fiel ihm ein, als Erzbischof Anno von Köln ihn seiner Mutter Agnes, die an Heinrichs statt die Regierungsgeschäfte wahrnahm, entführen wollte - um die Macht im Reiche an sich zu reißen.
    Elf war Heinrich damals gewesen. Er dürfe es anschauen, das neue, bunte, Schiff, hatte der Kölner Erzbischof ihm versprochen. Und kaum war er darauf, da hatte das Schiff abgelegt und die Mutter mit dem Gefolge zurückgelassen. Verzweifelt hatte er sich über das Geländer des Schiffes in den Rhein gestürzt - zurück zu der am Ufer schreienden Mutter. Aber der Rhein hatte ihn mächtig gepackt, herumgewirbelt und in die Tiefe gezogen; dabei hatte der Strom vom Schiff aus so glatt ausgesehen, als könne man darauf wandeln. Heinrich hatte mit den Armen um sich geschlagen, war einen winzigen Moment aufgetaucht, sah aber weder das Ufer noch das Schiff, nur grünes Wasser, das schon seine Lunge füllte - Luft!, da erwischte ihn ein Arm, bot ihm Halt und arbeitete ihn aus dem Wasser heraus. Graf Ekbert von Braunschweig hatte ihn gerettet -
    Heinrich richtete sein Augenmerk wieder auf die Steinquader und blickte auf den Boden unter seinen Füßen. Auch er würde dereinst dort unten ruhen. Zuvor aber würde er das Werk vollenden - den größten Bau einer Kirche nördlich der Alpen. Schwindelerregend hoch ragten schon jetzt einzelne Bögen in den grauen Tag. Der König versuchte, sich den fertigen Bau vorzustellen.
    Plötzlich hatte er das Bedürfnis zu reden: »Woher kommst du?«, fragte er einen seiner Leibwächter, die mit ihren Kettenhemden, Helmen und Spießen in respektvoller Entfernung standen. Er kannte die meisten der Männer, die sein Leben beschützten, aber dieser war neu.
    »Aus Schwaben, Herr«, sagte der Waffenknecht kurz. Seine Stimme klang belegt.
    Er dient mir nur, weil es sein Lebensunterhalt ist, nicht aus Treue, dachte Heinrich mit plötzlich erwachendem Misstrauen. Auch er hat Angst, alle haben Angst. Angst vor der Hölle! Der heilige Bann gegen mich ist eine furchtbare Waffe, denn sie richtet sich auch gegen jeden, der mir dient. Kein König der Welt kann diesem Schrecken etwas Gleichwertiges entgegensetzen: Wer im Dienst eines Gebannten stirbt, kommt auf ewig in die Hölle.
    Der Bewaffnete machte plötzlich einen plumpen Schritt auf ihn zu. Der König, der unbewaffnet war, wich zurück, zu seinem Ärger, machte das aber sogleich mit einem entschiedenen Schritt nach vorn wett. »Herr«, sagte der Knecht, »da sind Risse.«
    Was richtet er das Wort an mich?, dachte der König empört. Risse? Wo sind denn keine Risse? Es beginnt doch alles auf mich herabzustürzen, dieses ganze Gebäude aus Macht, Misstrauen und Gewalt, das Römisches Reich heißt!
    »Risse, ganz deutlich.« Aber da war der Mann schon umringt und wurde weggezerrt von der Person des Königs.
    Sie werden ihn bestrafen, dachte der König - ungefragt das Wort an einen Herrn zu richten! Und gar an den König!
    »Lasst ihn los«, sagte er zu den Wächtern, »wo sind Risse, was soll das heißen? Du kannst doch nicht einfach sagen, da sind Risse -« »Da oben«, sagte der Mann und wies mit der jetzt wieder freien Hand hinauf zu dem steinernen Gurtbogen. »Da oben.«
    Der König schaute hinauf zu einem der Gewölbebögen der unfertigen Kirche, den die

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