Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
sagte Luithard: Mein König und die Familie des Leutpriesters? Was wird aus ihnen?
Dem König habe ich Treue geschworen bei meinem Seelenheil! Der Bruder hatte ihn noch am selben Abend aus dem väterlichen Haus gewiesen.
Nach Italien! Über die Alpen! Im Winter! Mit einer Frau und einem kleinen Kind!
Sogar der beherzte Bischof von Speyer war zusammengezuckt, als der König den Befehl dazu erteilt hatte. Und auch die wenigen Kundigen, die noch in Speyer waren, hatten gesagt: Im Winter über die Alpen - unmöglich! Aber der König blieb hartnäckig: Nichts ist aussichtslos!
Es gab keinen anderen Weg, die Macht im Reich wiederzugewinnen. Und jetzt waren sie auf dem Weg.
»Alles bewacht, überall lauern sie Euch auf, sobald Euer Ausbruch aus Speyer bekannt wird«, hatte der Bischof eingewendet. Aber der König ging eigene Wege - wie ein Hase vor den Hunden würde er Haken schlagen. Und eine Kette von überall residierenden Verwandten würde ihn aufnehmen und beschützen. Die Kraft des Blutes ist immer noch stärker als jedes andere Band.
Aber stimmte das?
Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest wurden sie in Besançon freundlich aufgenommen; Graf Wilhelm von Burgund war zwar nur ein entfernter Verwandter, aber das Band hielt. So beschlossen sie, das Fest in Besançon zu begehen.
»Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, der Friedensfürst«, sangen die Mönche.
Doch schon am zweiten Weihnachtstag wurde Graf Wilhelm unruhig: »Ihr solltet aufbrechen!«
Das Band war plötzlich zum Zerreißen gespannt.
Die mitgeführten Vorräte wurden knapp, aber sie erreichten die Rhône. An diesem Strom lebte Adelheid von Susa, eine mächtige Dame mit vielen Titeln und Besitzungen: Herzogin von Schwaben, Markgräfin von Turin, Gräfin von Savoyen und - die Mutter der Königin, die Großmutter des kleinen Konrad. Adelheid von Susa war Witwe, sie freute sich über den Enkel, sie freute sich über die Tochter.
Aber dann sah sie auf den König und ihr Gewissen erwachte: »Ihr seid im Bann.«
»Ich will mich vom Bann lösen.«
»Aber Ihr seid im Bann.«
»Darum gehe ich nach Italien.«
»Dazu braucht Ihr Männer, die sich auskennen, und Gerät, das für den Winter in den Alpen taugt, und ihr braucht Vorräte für viele Tage.«
Der König blickte sie erwartungsvoll an.
»Aber wenn ich Euch helfe, bin auch ich im Bann: Jeder der -«
»Ich weiß«, sagte der König müde.
Was war zu tun? Wie viel kostete das Gewissen der mächtigen Schwiegermutter?
Nach zähen Verhandlungen stellte sich heraus, dass es fünf Bistümer - Ländereien - kostete, die in Italien an ihre Besitzungen grenzten. Aber welcher Pass überwindet die Mauer der Alpen jetzt im Winter? Und wer kannte sich aus auf den Wegen? Die Verhandlungen begannen erneut. Macht kostet Geld - für einen König kostet Macht aber vor allem Macht, das wusste der König, oder er erfuhr es jetzt!
»Der Mont Cenis ist der beste Pass«, wusste die Schwiegermutter schließlich, »meine Männer geleiten Euch auf sicheren Wegen hinüber.«
Aber das Gewissen der Schwiegermutter war noch immer nicht zu beruhigen. Sie nahm sich Zeit zum Nachdenken, am nächsten Tag forderte sie: »Vielleicht gebt Ihr mir doch besser keine Bistümer, sondern ein größeres Gebiet zu meinen seitherigen Gebieten.« Sie wusste auch schon welches. Und sie bekam es versprochen: ein großes Gebiet zwischen den Flüssen Ain und Rhône.
Nur der König konnte es ihr geben.
Und der wusste jetzt auch, dass Adelheid von Susa - sollte er wirklich König bleiben - sehr daran zweifelte, ob er seine Macht-fülle gegenüber dem Papst behaupten könne. Daher die Änderung des Vertrags: Keine Bistümer würde sie bekommen, wenn der Schwiegersohn das Recht der Einsetzung von Bischöfen verlor. Blieb er aber wenigstens König, so war ihr das neue Land sicher.
»Ich reise mit Euch - ich lasse meinen Enkel nicht allein über die Alpen reiten!«
Schritt für Schritt zog Luithard sein Ross am Zügel nach.
In den Westalpen lagen Berge von Schnee jetzt im Januar - und in diesem Winter erst recht, ein Winter, der so hart war wie keiner seit Menschengedenken. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, und Schnee verklebte ihm die Augen, wenn der Sturm auf ihn herabpeitschte. Der Schnee legte sich als nasse, schwere Last auf die Schultern, wenn einmal Tauwetter war und die Stiefel schwer wurden, als schleppte man volle Maltersäcke.
Er sah den Schnee aufgetürmt auf dem Grunde von Schluchten liegen, an
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