Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
über uns an den Hängen der Berggipfel Schneefelder zu sehen. Auch erreichten wir hier oben wieder christliches Gebiet - das des armenischen Herrschers von Seleukia, der uns Ritter mit Nahrung, den Kaiser und unsere Bischöfe und Fürsten sogar mit nächtlichen Unterkünften versorgte.
Die letzten Berge waren mit Gottes Hilfe bezwungen. Draußen ahnte man schon das Leuchten des Meeres. Das Heilige Land lag vor uns, das Ziel der Sehnsucht unserer Seele.
Wie Bergziegen kletterten die Männer abwärts, dem Meer entgegen. Zwischen Dornbüschen und harten Heidekräutern stiegen sie, über Felshänge und gefährliche Schrunden voll Geröll, hinunter zu den Gießbächen, die, über Steinblöcke springend, wieder in immer neue Bäche und Flüsse mündeten und uns hinausführen würden an die Meeresküste - der Rest wäre Ruhm und Seligkeit.
Wir waren keine Tagesreise mehr entfernt von der Stadt Seleukia, die in einer Ebene liegt, wo wir mit der Hilfe Gottes und seiner Heiligen den Kontinent Asia endlich durchquert haben würden.
Tief unter uns, über breiten Flächen von Geröll und Schutt, erblickten wir nun den Fluss Saleph, der, an unüberwindlichen Steil-hängen entlang, aus dem Gebirge flach hinausfließt und weit draußen ins Meer mündet. An manchen Stellen glitt der sehnsüchtige Blick bereits zwischen Steinhängen und Felsschrunden hinaus zum Spiegel des Meeres.
Aber der Abstieg war furchtbar. Es war, als betrete man einen gewaltigen Backofen, als wir die Hänge immer weiter abwärts stiegen, um die Ränder des Flusses zu erreichen.
Die unbeschreibliche Hitze an den Ufern des Saleph hatten wir nicht erwartet: Das Meer bringt Kühlung!, dachte jeder - wohl auch der Kaiser selbst.
Aber vergeblich warteten wir auf erfrischende Winde.
Die Luft steht still in den breiten Talkesseln, und die Sonne brennt herab und heizt die Abgründe, in denen sich die Hitze staut. Auch Schatten findet man nicht - die Sträucher auf dem Felsboden wachsen kaum mannshoch. Diese Dornensträucher, zwischen denen das glühende Gestein hervortritt, übersäen die Hänge wie Pockennarben.
Wir aber dachten an das ewige Feuer der Hölle, dem wir durch das Ertragen dieser zwar teuflischen, aber doch irgendwann endenden Hitze entgehen würden. Und wir folgten unserem Kaiser willig, der in seinem hohen Alter alle Mühen des Kreuzzuges ertragen hatte und auch jetzt ohne einen einzigen Laut des Murrens ertrug. Für alle war er auf dem weiten Weg wie ein Vater gewesen, auch für die ungezählten Pilger, die dem Heereszug folgten - einem Zug, der eigentlich nur dem offen stand, der seine Ausrüstung und die Verpflegung selbst bestreiten konnte. Aber die Güte unseres Kaisers erlaubte auch dem armen Pilgersmann, ja sogar mancher Pilgerin, die Fahrt in das Heilige Land.
So schlimm war unser Abstieg aus der Höhe des Taurusgebirges, dass sich das Heer aufteilte in Männer, die ihren Weg abwärts über die Felsenkämme und Dornenwildnisse der Gebirge suchten, und andere, die sich mühsam den Hangabbrüchen am Ufer des Saleph entlangarbeiteten. Auf Händen und Füßen mussten sie die Abhänge hinabkriechen, um voranzukommen, zerkratzt von Dornen und Disteln, zerstochen von Schnaken. Wer noch ein Pferd hatte, zog es am Zügel hinter sich her.
Man konnte Bischöfe, Äbte und Grafen sehen, die auf allen vieren vorwärts krochen oder sich, mit beiden Armen gegen die Plage der Stechmücken um sich schlagend, durch Wildnisse aus Dornen arbeiteten - an Stellen, die kaum ein Bergschaf hätte bewältigen können. Man sah Bischöfe, die so geschwächt waren in ihrem hohen Alter, dass sie auf Pferdetragen hinuntergeschleift werden mussten, gleich den Lasten, die das Heer mit sich führte. So häuften auch die großen Herren Schätze der Gnade im künftigen Paradiese an, gleich den einfachsten Knechten.
Die Fahnen und andere Feldzeichen der verschiedenen Fürsten des Reichs sah man einsam und verstreut und ohne die übliche Gefolgschaft von Streitern die Berghalden abwärts wehen.
Aber uns einte in allen diesen Qualen und Entbehrungen die eine große Hoffnung, deren Erfüllung jetzt so greifbar nahe war: das Heilige Land zu befreien, die Mauern der Heiligen Stadt Jerusalem zu öffnen. Überall zu wandeln auf den Spuren unseres Herrn Jesus Christus, zu beten an den Stätten, an denen er gewirkt hat, wo er Blinde sehen und Lahme gehen gemacht hat, wo er Tote zum Leben erweckt hat, wo er gekreuzigt worden, wo er begraben und von den Toten wieder
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