Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
- und jetzt kannst du es beweisen!
Und nachdem du endlich die Augen aufgesperrt hast, siehst du noch mehr. Das Joch, das in der Scheune hängt, ist ganz zerfressen von Holzwürmern und hohl wie ein Schwamm, das ist schon lange nicht mehr benutzt worden! Da hat der Onkel noch lange gelebt! Der zerbrochene Pflug ist uralt. Aber benutzt worden ist er auch schon lange nicht mehr, seit Jahrzehnten nicht mehr; er hat auf dem Hof herumgestanden bei Wind und Wetter, sonst wäre er nicht so zerfressen von Rost! Onkel Bernger hatte einen anderen Pflug - der ist weg, wie die beiden Kummete und der Ochse, und weg wie die Äcker in der Winterzelge!
Was jetzt? Du gehst hinaus - das Dorf ist noch da, die Bauernhäuser, die Kirche.
Du denkst: Jetzt muss sich doch der Boden auftun und die Diebe verschlingen, oder Feuer muss vom Himmel fallen, Hagelschläge, Stürme! Nein, es trifft dich ja mit!
Was jetzt? Zum Schultheißen, damit der weiterlügt? Zum Ritter, damit der sich kranklacht? Hauptsache, er bekommt seine Abgaben: ob von dir oder von denen ist dem wurst.
Aber er hat ein Buch, in dem steht drin, was jeder hat und jeder abgeben muss. So sagen sie in Herstetten. Und ob das stimmt, weiß kein Mensch. Und wenn auch er dich anlügt und sagt: Ich weiß genau, dein Onkel war ein ganz besonders dummes Stück Rindvieh und hatte nur Äcker in zwei Zelgen! Was dann?
Und wenn du widersprichst und ihm deine Gerstenkörner unter die Nase hältst? Dann hat er keine Zeit. Oder er sagt: Wer weiß, wo du die gestohlen hast!
Zum Leutpriester? Der kann vielleicht ein wenig lesen, wenn du Glück hast. Und wer bezahlt den Leutpriester? Der Pfründherr - und den? Richtig, der Ritter! Und da gibt er ihm das Buch erst gar nicht in die Hand.
Und klagen beim Gemeindegericht? Und wer sind die Richter? Richtig, die Bauern, die dich angelogen haben. Der Utz kratzt sich, dem Wolf hängen die Hosen herunter, und der Hildebrand rotzt in deine Stube. Und wer leitet das Gericht? Richtig, der Schultheiß -
Hast du gewusst, wie schwer Gerechtigkeit zu kriegen ist? Aber lieber gegen einen Drachen, als zurück zur Schwägerin und wieder Knecht sein!
Und Roswitha!
Also steckst du dir eine Hand voll von Körnern aus den Ritzen in die Hosentasche und marschierst geradewegs zum Schultheiß.
Dem hältst du die Körner vors Gesicht - am liebsten möchtest du ihm die Faust reinhauen. Aber dein Herz schlägt wie ein Hufschmied. Und du stotterst, bringst kaum heraus, dass du auf dem Trockenboden warst.
Er schaut dich an und fragt scharf: Trockenboden? Sprich so, dass man dich versteht.
Du sagst etwas vom Trockenboden deines Onkels Bernger.
Was geht mich der Trockenboden deines Onkels Bernger an?, sagt er. Meinst du, ich habe meine Zeit gestohlen?
Jetzt bricht es aus dir heraus wie ein Wasserfall: Sie haben dir alles gestohlen! Du packst den Schultheiß am Arm. Deine Stimme ist schrill. Und du gehst zum Ritter!, sagst du.
Er löst ganz ruhig seinen Arm, und du merkst auf einmal, dass er einen Kopf größer ist und dreimal so schwer wie du. Er überlegt. Dann sieht er dir seltsam ins Gesicht und sagt: Leise, Junge, leise. Man posaunt nicht alles in die Welt hinaus.
Und jetzt weißt du wirklich, dass sie dich bestohlen haben. Du packst ihn wieder am Ärmel: Du willst nur dein Recht. Und das ist eine Lüge, sagst du, dass dein Onkel keine Äcker in allen drei Zelgen gehabt hat. Wie hat er denn leben können?
Sein Gesicht ist nachdenklich: Meinst du nicht, dass es besser ist, du gehst wieder zurück nach Herstetten? Auf einen Zugochsen kommt es mir nicht an.
Ich will nicht zurück nach Herstetten!, schreist du und stampfst auf den Boden
Aber er legt dir die Hand auf den Mund und sagt: Schrei nicht, komm mit in die Stube.
Und du blickst aus dem Fenster, gerade führen sie ein wunder-schönes Ross in den Stall des Schultheißen.
Er lädt dich aber nicht zum Sitzen ein. Du hast draußen das Pferd gesehen, und nun laufen dir die Tränen herunter. Und du kannst nichts dagegen tun und schämst dich.
Sein Blick ist immer noch nachdenklich: Es sind die Abgaben, Junge, sagt er nach einiger Zeit und schaut dir zu, wie du schniefst. Und dann seufzt er und sagt: Es ist halt nicht recht.
Du bist jetzt deiner Sache ganz sicher: Was Recht ist, muss Recht bleiben, sagst du weiter. Du hast das einmal irgendwo gehört, und es passt ganz gut hierher, findest du, und bohrst mit den Fäusten in den Augen herum. Ich kann ja zum Herrn Ritter gehen, sagst du noch
Weitere Kostenlose Bücher