Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Stadt. Sie ahmen hier unsere Stoffe nach oder kaufen sie über Venedig - du siehst den Unterschied sofort. Was bei uns bunt ist, hier ist es blass oder grau, denn es fehlt das Licht. Es ist alles ärmlich, was bei uns Herrlichkeit ausdrückt, bescheiden und eng, wo du bei uns Großzügigkeit findest, kalt und berechnend, wo bei uns das Feuer des Geistes brennt.
Ich weiß, dass mein Vergleich nur auf die Erinnerung an meine Stadt und unser Reich zutrifft - aber ein anderes Konstantinopel will ich nicht mehr sehen.
Und die Menschen?
Du hast in Deinem Brief von einem friedlichen Deutschland geschrieben - nichts davon ist wahr!
Schon die Ankunft war unangenehm. Bischöfe, Äbte, Herzöge, Grafen, Ritter - Verbeugungen. Sie zerflossen in Demut, sie krochen fast auf dem Boden vor König Philipp und meiner Herrin - aber ihr Blick ist unaufrichtig, lauernd. Niemand hier schaut dir in die Augen.
»Du musst ihnen Zeit lassen«, sagte Königin Irene. Sie lächelte.
Philipp und Irene wurden im Jahre des Herrn 1197, am achten Tag des Monats September, im Dom zu Mainz zum König und zur Königin gekrönt. Es war ein herrliches Fest. Der Dom war prächtig ausgestattet, hunderte von Kerzen brannten. Das Königspaar war fast überirdisch schön, als es den Mittelgang entlangschritt, Philipp und Irene. Philipp war ein hochgewachsener Mann mit blonden Haaren und einem freundlichen Gesicht und hellen Augen, die immer in einer warmen Art zu lächeln schienen. Irene war ja eine sehr schöne, sehr zarte Frau, mit unvergleichlich reiner Haut, einem ebenmäßigen Gesicht und herrlichem, vollem, schwerem schwarzem Haar. Sie ist durch Leid und die Fremde noch viel schöner geworden - die Sänger, die Dichter und die einfachen Leute nennen sie Maria, die Rose ohne Dornen, die Taube ohne Galle!
Aber die Kerzen im Dom brannten düster: Der wirkliche Krönungsort ist Aachen - doch Aachen blieb dem neuen Königspaar verschlossen. Und der rechte Mann, die Krönung vorzunehmen, wäre der Erzbischof von Aachen gewesen oder von Köln. So krönte ihn der Erzbischof von Tarentaise, der inzwischen hierher berufen worden war.
Aber der besaß dazu kein Recht!
Schnell nutzten dies Philipps Feinde und wählten einen Gegenkönig: Am zwölften Tag des Monats Juli im Jahre des Heils 1198 wurde Otto von Braunschweig, der Sohn Heinrichs des Löwen, zum König gekrönt - in Aachen, am richtigen Ort und vom richtigen Mann.
»Aber mit den falschen Kroninsignien, der falschen Krone, dem falschen Zepter, dem falschen Schwert und dem falschen Reichs-apfel - und dazu - ohne die Heilige Lanze«, sagte die hochschwangere Königin Irene und lächelte geduldig. Das alles hatte König Philipp aus dem Geschlecht der Staufer in seinen Besitz genommen.
Otto IV., wie der Gegenkönig sich nun nannte, war ein hagerer, fast dürrer Mann, der alle anderen um Haupteslänge überragte. Aber in seiner Größe war nichts Ehrwürdiges. Ich habe ihn einmal gesehen: Geiz und Misstrauen sahen ihm aus den Augen.
Die einen, die sich Macht von Otto versprachen, hielten zu Otto, die anderen, die sich Macht von Philipp versprachen, hielten zu Philipp. Wenn einer der beiden gerade größere Macht in Aussicht stellen konnte, wechselten die Herren bedenkenlos die Seiten.
Die Spaltung erfasste viele Reiche hier in Westeuropa. Sie reichte bis hinab nach Italien: Waiblinger nennen sich die Anhänger der Staufer nach ihrem alten staufischen Besitz, der Stadt Waiblingen; in Italien werden sie Ghibellinen genannt. Guelfen, die Welfen, nennen sich die Anhänger der Welfen, also der Familie des Gegenkönigs.
Das Reich versank im Krieg.
Papst Innozenz III. fürchtete die Macht der Staufer und anerkannte Otto als König. Auch der König von England unterstützte Otto - denn dessen Mutter Mathilde war eine englische Königstochter gewesen. Der König von Frankreich half König Philipp gegen die englische Partei. Es ging überall nur um Macht - das Reich verkam.
In Deutschland gibt es keine Hauptstadt, wie sonst in den Reichen der Welt. Die Pfalzburgen, die dem König gehören, sind zerstreut. Um für Recht und Ordnung zu sorgen, um das Land zu regieren, ist der Hof immer unterwegs - auf dem Weg nach Goslar, nach Magdeburg, nach Nürnberg, nach Wimpfen, nach Forchheim, nach Mainz, nach Ingelheim, nach Gelnhausen, nach Eger, nach Straßburg, nach Kaiserslautern, nach Frankfurt - es gibt noch viele andere Orte. Ich will sie hier nicht alle aufzählen, weil es mir nirgendwo gefallen hat: Wenn
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