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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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kommen wird? Ich habe ein Leben lang vorausgedacht und Pläne geschmiedet, und ich habe immer geglaubt, dass man die Menschen in Pläne fassen kann, dass man den Ausgang eines Plans errechnen kann - deshalb war ich Rat-Geber.
    Nun aber geschah, was ich nicht geplant hatte: Als man den blinden alten Kaiser aus dem Kerker holen wollte, als man ihm die Macht zurückgeben wollte - fand man ihn tot.
    Neuer Kaiser wurde - niemand hörte mehr auf meinen Rat - Alexios V. Murtzuphlos, Schwieger-Sohn des vorherigen Alexios III., ein roher Mensch mit dicken Augen-Brauen und einer vorstehenden Unter-Lippe. Auch er hatte keinerlei Interesse, die Schulden der Kreuz-Fahrer bei den Venezianern zu begleichen, wie es sein Vorgänger versprochen hatte. Er war ein Dumm-Kopf. Und ein Rom-Gegner war er auch. Ein Dumm-Kopf eben.
    »Wozu soll ich Schulden bezahlen. Ich habe sie ja gar nicht gemacht! «
    »Es geht nicht um Eure Schulden - es geht um die Staats-Schulden«, belehrte ich ihn.
    Aber er lachte nur und befahl, die Kreuz-Fahrer auf der Stelle aus der Stadt zu weisen.
    Doch die Herren in Venedig waren Kauf-Leute und schauten, als sie vernahmen, was geschehen war, wo sie ihr Geld bekamen: Auf ihr Geheiß belagerte nun das Heer der frommen Kreuz-Fahrer nicht die Mauern der Ungläubigen, sondern das heilige Konstantinopel und eroberte die Stadt endlich im Sturm - am dreizehnten Tag des Monats April, im Jahre 1204.
    Keine Feder kann das Unglück beschreiben, das jetzt mit der Wucht eines Unwetters über unsere Haupt-Stadt hereinbrach: Die Kreuz-Fahrer waren Christen wie wir, aber sie führten sich auf wie die Teufel. Unzählige Menschen wurden von ihnen gequält und ermordet, verheiratete Frauen, Jung-Frauen und selbst kleine Mädchen von diesen tugendhaften Rittern geschändet. Die goldenen Paläste wurden öde, alle Schätze und Kunst-Schätze, die sie nicht zerschlugen, führten sie weg nach Venedig, alle Pracht der Stadt, alles Licht erlosch - riesige Brände fraßen Viertel um Viertel, Qualm, Geschrei, Raub und Mord, Tot-Schlag und Verderben auf allen Straßen und Gassen. Und Kaiser Alexios V. Murtzuphlos? - Er wurde auf eine Säule geschleppt und hinabgestürzt, trotz seiner unkaiserlichen Schreie.
    Die kostbaren Bibliotheken Konstantinopels mit den Schätzen unseres Geistes verbrannten. Unsere Stadt wurde arm.
     
    Was ich persönlich erdulden musste, ist nicht wichtig: Ich lebe. Unser Land-Haus am Ufer des Marmara-Meeres ist verbrannt, auch unser großes Stadt-Haus ist niedergebrannt mit all den kostbaren Stoffen aus Seide und Purpur, die Mosaiken der Fuß-Böden sind schwarz und werden nie mehr leuchten. Die Marmor-Statuen sind zerschmettert.
    Es gelang den Siegern nicht, wie ich ihnen geraten hätte, einen westlichen Fürsten als Kaiser über Byzanz zu setzen - sie waren untereinander zu zerstritten. So wollen sie unser weites Reich in viele Ländchen teilen und setzten schwächliche Fürsten, die einander hassen, über kümmerliche Gebiete: Aber das heilige Reich von Byzanz wird so vor den Angriffen der Fremd-Gläubigen keinen Bestand haben.
    Ein Reich, das in sich uneins ist, zerfällt! So steht es zu lesen in der Heiligen Schrift Gottes.
    Nur mein letzter Plan, mein größter Plan, kann es noch retten! Die Vereinigung der Reiche im Osten und Westen. Kaiser Philipp und Kaiserin Irene als Herrscher über Rom und Byzanz. Zum Schrecken der Ungläubigen und Segen der ganzen Christenheit!
    Der Ewige behüte Dich und Deine Königin.
    Von Deinem Dich liebenden Bruder und gewesenen Reichs-Symboulos
     
    Evangelos Komnenos

    Geschrieben auf der Burg Hohenstaufen in Schwaben, im Jahre des Heils 1208, am zweiten Tag des Monats September. An den gewesenen Reichs-Symboulos Evangelos Komnenos zu Konstantinopel.
     
    Lieber Bruder, der Segen des Allmächtigen Gottes sei stets mit Dir und Deinem Haus.
    Drei lange Jahre haben wir beide nichts voneinander gehört. Es war mir nicht möglich, in allen Schrecken, die über die Welt gekommen sind, einem Boten nach Konstantinopel Nachricht an Dich zu geben.
    Ich danke Gott, dass Du und die Unsrigen leben, dass Ihr nicht untergegangen seid in den Wirren. Du hast mir getreulich von allem berichtet, was in unserer einst blühenden Stadt geschehen ist. Ich weine, und ich danke Dir.
    Ich weiß, dass Du in Deiner Zeit ein guter Ratgeber warst, und ich weiß auch, dass Zeiten nicht immer gut sind für einen Rat. Wie sehr Du in die Dinge auch unseres Westreiches verflochten warst, wie Du schreibst, wusste

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