Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
befreite den jungen Alexios. Ich brachte ihn auf nächtlichen Schleich-Wegen zu einem venezianischen Schiff: Hilfe für seinen Vater sollte er erbitten bei Königin Irene und bei König Philipp, ihrem Mann im Land der Deutschen.
Aber ich war kein guter Rat-Geber: Dieser Rat hat unsere Stadt ins Unglück gestürzt.
In dieser Zeit rief in Rom Papst Innozenz III. auf zum vierten KreuzZug gegen die Fremd-Gläubigen. In Venedig wurden Schiffe gebaut, Waffen geschmiedet, und alles sollte den Venezianern bezahlt werden vom Geld der Ritter, Bischöfe, Klöster und der Fürsten Europas.
Aber es war viel zu wenig Geld, das die Kreuz-Fahrer zusammenbrachten, denn es waren zu wenige Kreuz-Ritter gekommen, um zu kämpfen.
Die Schiffe und die Waffen in Venedig blieben unbezahlt.
Dies wollte der junge Alexios sich zunutze machen. Denn er hatte einen Plan. Von diesem Plan wusste ich lange nichts. Alexios war zunächst wie verabredet zu seiner Schwester Irene und ihrem Gemahl gegangen. Aber Philipp konnte nicht helfen, er brauchte sein Heer selbst, und Irene mahnte ihren Bruder zum Frieden, sie beschwor ihn, sie flehte ihn an, es in Konstantinopel nicht zum Kampf kommen zu lassen. Ich habe das von den Männern erfahren, die ich ihm zur Begleitung gegeben hatte.
Er wollte die Macht!
So ging er zu den Kreuz-Fahrern und versprach ihnen, ihre Schulden in Venedig zu bezahlen, wenn sie ihn zum Kaiser von Konstantinopel machen würden. Er hat es nicht offen gesagt. Er hat ihnen nur gesagt, dass sie seinen Vater befreien sollten. Aber er wollte selbst den Thron, Kaiser sein von Konstantinopel. Das war sein Plan.
Wer einen Krieg vom Zaun bricht, weiß nie, was ihn jenseits des Zaunes erwartet - und nach dem Krieg erwacht der Kriegs-Anfänger in einer fremden Welt.
Das christliche Heer der Kreuz-Fahrer fand sich nun also nicht vor den Mauern der Fremd-Gläubigen, sondern im Jahre des Herrn 1203 vor den christlichen Mauern unseres purpur-leuchtenden Konstantinopel!
Zuerst schien alles gut zu gehen: Kaiser Alexios III., den ich hasste, floh Hals über Kopf nach Thrakien. Ich hatte ihm dazu geraten, ich wollte kein Blut-Vergießen in unserer ehrwürdigen Stadt.
Mein Herz schlug für den geblendeten Greis im Gefängnis, dessen Rat-Geber ich war.
Ich machte mir bereits Gedanken über die weitere Reichs-Politik. Doch der junge Alexios Angelos befreite zwar seinen blinden Vater, setzte aber nicht ihn wieder auf den Thron, sondern machte sich als Alexios IV. selbst zum Kaiser, zerfressen von Macht-Gier.
»Mein Vater ist blind, er kann nicht mehr regieren.«
»Man kann auf viele Arten blind sein«, sagte ich.
Er lachte laut.
Da nun der neue Kaiser auf meinen Rat nicht hören wollte, half ich dem Blinden, Aufruhr in der Stadt zu schüren, damit er wieder als Kaiser eingesetzt werden könnte: Meine Augen wären dann seine Augen! Mein Rat wäre sein Rat.
Alexios schaffte es nicht, die Schulden der Kreuz-Fahrer an die Stadt Venedig zu bezahlen, wie er es versprochen hatte.
Nun - er konnte es auch nicht schaffen, denn ich verhandelte hinter seinem Rücken mit seinen Kredit-Gebern, den Juden in der Stadt.
Die Kreuz-Fahrer aber waren noch immer in Konstantinopel und forderten das versprochene Geld. Täglich kam es zu Über-Griffen zwischen Bürgern und Kreuz-Rittern. Ein Gebäude, das sie für eine Moschee hielten, wurde von ihnen angezündet, und ein ganzer Stadt-Teil brannte ab. Die Keile, die ich zwischen Kreuz-Ritter und Kaiser Alexios trieb, wurden täglich tiefer.
Noch hatte ich die Staats-Zügel fest in der Hand.
Von Alexios III. aus dem fernen Thrakien zusätzlich angeheizt, kochte die Volks-Empörung in der Stadt höher und höher. Schließlich brachte - ich gebe zu: von mir beraten! - dieselbe normannische Palast-Wache, deren Schwert ich damals entkommen war, Kaiser Alexios IV. um. Die Zeit war reif, niemand würde ihm eine Träne nachweinen.
Irene hätte vielleicht einen Ausweg gefunden, bei dem kein Blut geflossen wäre. Ich grüble viel darüber nach -
Denn Wille setzt sich nicht nur mit Gewalt durch, sondern auch - und manchmal dauerhafter - durch Sanftmut und Güte. Gewalt führt meist zu neuer Gewalt, wie es dann auch in furchtbarer Weise gekommen ist. Irenes Augen hatten solche Dinge gewusst. Ich weiß es erst heute.
Irene heißt Friede.
Aber hätte ich auf sie gehört? Hätte ich auf eine Frau gehört? Raten Frauen nicht allzu leicht zum Frieden? Weiß man immer, was besser ist? Weiß man, wie es am Ende
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