Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
da einige Herzschläge und Atemzüge lang unten im Hof des Klosters gewesen ist. Du bist groß geworden, Reinald, und breit und kräftig, und Dir sprießt ein Bart. Fast war ich stolz, einen Augenblick lang stolz auf den jungen Mann, der mein Ritter war und dem ich mein Leben in die Hand geben wollte. Aber ein Ritter, Reinald, beschützt die Schwachen und trägt keinen Unfrieden in die Stätten des Friedens.
Und ich weiß jetzt, dass ich in Gotteszell bleiben will. Nicht aus Gehorsam gegen meine Eltern, sondern weil ich weiß, dass ich hierher gehöre. Bitte lege für einen Augenblick, wenn Du noch kannst, Deinen Ritter ab und habe Verständnis für mein Leben, das ab heute nicht mehr Dir gehört. Es ist mein Leben und mein Ziel, und ich schenke beides Gott.
Ich werde für Dich beten bis an mein Ende!
Katharina
DAS KRÄNZLEIN
Mit der Wahl Rudolfs I. von Habsburg im Jahre 1273 wurde das Interregnum (1254-1273) beendet, diese kaiserlose, schreckliche Zeit -
Rudolf gelang es, die Zügel wieder straff anzuziehen, er bekämpfte das Unwesen des Raubrittertums und schaffte Ordnung. Sein Hauptziel war, durch ein erbliches deutsches Königtum - wie es in den einflussreichen Staaten Frankreich und England geregelt war - die wachsende Ohnmacht der Zentralgewalt zu beenden, das Deutsche Reich zusammenzuhalten und den Einfluss der Fürsten zu beschneiden. Doch alle seine Bemühungen scheiterten.
Mehr Glück darin schien schließlich sein Sohn zu haben, der als Albrecht I. zum König gewählt wurde. Von ihm wird berichtet, dass er ein finsterer Mensch war, einäugig, von fast bäurischem Wesen. Aber er bewies Klugheit in der Politik, und er trieb wie sein Vater das Hauptanliegen voran: neben der Stärkung seiner eigenen Hausmacht - in Österreich und der Schweiz, in Böhmen und Schlesien, am Oberrhein und in der Steiermark - das Wahlkönigtum im Reich zu einem Erbkönigtum zu machen. Langsam näherte er sich diesem Ziel; doch mit seinem finsteren und rücksichtslosen Wesen schuf er sich viele Feinde.
Die Geschichte vom Kränzlein ist überliefert, aber nicht urkundlich belegt. Der hier beschriebene Mord ist so geschehen. Er war bis heute der letzte Mord an einem deutschen Staats-oberhaupt.
Der Saal des Königshofs ist weit und hat einen breiten Kamin, in dem ein riesiges Feuer lodert. Unter der mächtigen Balkendecke ist es düster. Nur der Schnee draußen, der jetzt im April des Jahres 1308 noch einmal nass und schwer auf die jungen Blüten und Blätter gefallen ist, wirft noch etwas Licht durch die Butzenscheiben. Die Dunkelheit des hereinbrechenden Abends kriecht bereits an den Wänden empor. Bald werden Fackeln und Kienspäne aufgesteckt.
König Albrecht I. sieht nur auf einem Auge, eines ist blind, und dieses blinde Auge ist seltsam starr und schief nach außen gerichtet. Der König sitzt auf einem erhöhten Platz. Seine ganze Gestalt erscheint schief, da er sein Gebrechen durch die Haltung seines Oberkörpers zu verbergen sucht.
Viele mächtige Herren sind um den König, trinken und reden laut durcheinander.
Ganz am Ende des Saales sitzen die Ritter, und schon hinten an der Wand, in der Nähe der Tür, sitzt bei seinem ärmlichen Herrn der Knappe Anselm. Er hat den Blick auf den Eingang gerichtet, weil er hofft, dass die Diener des Königs noch etwas Essen auftragen.
Da stürmt plötzlich ein junger Mann herein.
Anselm vernimmt einen kurzen und heftigen Wortwechsel zwischen dem Ankömmling und der Türwache, doch er versteht keine Silbe davon, nur die sonderbar grelle Stimme des jungen Mannes sticht heraus und dringt durch den Saal. Dann sieht er die Bewaffneten ihre schon gekreuzten Spieße wieder zurückziehen.
Also ein vornehmer Herr! Aber er ist seltsam bunt angezogen, ein wenig wie ein Narr. Der Knappe wundert sich, dass der junge Mann seine Mütze aufbehält, eine runde, glänzend schwarze Ledermütze - immerhin in Gegenwart des Königs! Eine Unschicklichkeit, die der königliche Herold nicht einmal einem Herzog ohne Rüge durchgehen ließe.
Der Knappe sieht dem Jungen ins Gesicht, als der an ihm vorbeistürmt. Stirn und Wangen sind fast gespenstisch weiß und glänzen schweißnass, trotz der Kälte draußen. Rabenschwarze Haare fallen ihm unter der Mütze in die Augen. Er sieht sehr jung aus. Sein Mund ist halb offen und schief verzerrt. Ein keuchender Atem ist zu hören.
Er tritt zum König, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Der Einäugige blickt ihn ruhig an und sagt kein
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