Augenzeugen
fand sich nicht leicht damit ab, dass ein Fall unlösbar schien, bei einem Gewaltverbrechen war es besonders schwer, wenn ein Kind das Opfer war, unmöglich. Das war wohl auch der Grund, warum Toppe etliche Nachträge in der Akte fand. Sie stammten fast alle von Walter Heinrichs, seinem inzwischen pensionierten Kollegen, der Einzige vom KK 11, der in der Soko Alina gewesen war. Er hatte sich offensichtlich, wenn Leerlauf war, immer mal wieder mit der Geschichte befasst. Kein Wunder, Walter hatte selbst fünf Kinder.
Toppe legte die handschriftlichen Notizen, mit denen er noch nicht viel anfangen konnte, zur Seite, blätterte zum Anfang zurück und beschäftigte sich mit den Fakten.
Am Donnerstag, den 12. Juni 1997, verschwindet Alina Escher, vier Jahre alt, irgendwann zwischen 15 Uhr und 15 Uhr 30 spurlos aus dem elterlichen Garten.
Spurlos? Toppe stutzte und blätterte ein paar Seiten vor.
Man hatte tatsächlich keinerlei Spuren eines Kampfes oder gewaltsamen Eindringens in den umzäunten Garten gefunden, nicht einmal Schuhspuren, was allerdings nicht weiter verwunderlich war, denn das Anwesen war von einem breiten Kiesstreifen eingefasst. Die einzigen Reifenspuren in der Nähe stammten von den Fahrzeugen der Eltern.
Er überflog das nächste Protokoll.
Gernot Escher war 1988 Oberstaatsanwalt am Klever Landgericht geworden. 1994 hatte er Maren Großkurth, die Tochter eines Kollegen, geheiratet, die ein Kind, Alina, mit in die Ehe brachte. Escher hatte das Mädchen nach der Eheschließung adoptiert. Gleich darauf war die Familie in ihr neu gebautes Einfamilienhaus gezogen. Nössling , lautete die Adresse, und sie sagte Toppe nichts. Es musste irgendwo außerhalb sein, denn es gab – zumindest 1997 – keine unmittelbaren Nachbarn, folglich keine Augenzeugen.
Er blätterte wieder zum Anfang zurück.
Der 12. Juni ist für die Familie Escher ein ganz normaler Tag. Am Morgen fährt Gernot Escher wie üblich zum Gericht, wo er bis gegen 17 Uhr zu tun haben wird. Maren besucht mit Alina ein Kennenlernfest in dem Kindergarten, den das Mädchen ab August besuchen soll. Danach machen Mutter und Kind ein paar Einkäufe, essen eine Kleinigkeit zu Mittag und gehen gemeinsam zum Spielen in den Garten. «Wir haben unsere neuen Sträucher und Pflanzen gegossen. Alina spielt so gern mit dem Gartenschlauch», berichtet die Mutter bei der ersten Vernehmung.
Es ist ein ungewöhnlich warmer Tag, und Maren Escher, zu dem Zeitpunkt im siebten Monat schwanger, geht ins Haus, um kurz zu duschen. «Ich war verschwitzt und fühlte mich nicht wohl. Alina saß in der Sandkiste und spielte. Sie war ganz vertieft, deshalb habe ich sie nicht mit reingenommen. Man kann sie gut eine Weile allein lassen, sie beschäftigt sich gern selbst. Und es hat ja auch nicht lange gedauert. Wenn ihr langweilig wird, kommt sie mir sowieso immer nachgelaufen. Ich habe alle Türen offen gelassen. Sie konnte die Dusche hören, und ich hätte sie gehört, wenn sie mich gerufen hätte.»
Als Maren Escher in den Garten zurückkehrt, ist Alina nirgendwo zu finden, auch im Haus keine Spur von ihr. Die Mutter schließt das Gartentor auf – «Es war abgeschlossen, wir schließen immer ab wegen Alina» – und sucht auf dem Zufahrtsweg, läuft bis zum nahen Sportplatz.
Gegen 16 Uhr ruft sie ihren Mann an, der sofort nach Hause kommt und noch einmal alles absucht. Er fährt zur Mehrer Straße, dann sogar bis zur Kranenburger Straße, klingelt bei Anwohnern, spricht Passanten an, aber keiner hat Alina gesehen, keinem ist etwas Ungewöhnliches aufgefallen.
Um 19 Uhr fährt Maren Escher zum Polizeirevier und gibt eine Vermisstenmeldung auf. Gernot Escher bleibt im Haus für den Fall, dass Alina heimkehrt.
Toppe rieb sich die Augen. Wieso ließ der seine hochschwangere Frau, die sicherlich außerdem verstört und aufgeregt war, zur Polizei fahren und blieb selbst zu Hause? Anscheinend hatte niemand zu dem Zeitpunkt diese Frage gestellt, denn er fand keine Antwort. Mehrer Straße, Kranenburger Straße? Eschers Haus stand also in Donsbrüggen.
Um 19 Uhr 20 erhält Escher den Anruf eines Mannes, der Alina entführt haben will und Lösegeld fordert. In der Vernehmung durch einen Kommissar Peters aus Krefeld erinnert sich Escher an den genauen Wortlaut. «Er sagte nur zwei Sätze, dann legte er auf: Wir haben deine Tochter. Wir wollen 150 000 Mark.»
Es sei, der Stimme nach, ein jüngerer Mann gewesen, der ohne nennenswerten Akzent gesprochen habe, ein
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