Augenzeugen
Schönfelder bat Cox und Astrid ins Wohnzimmer. Dort plätscherte auf einem Schränkchen ein Zimmerbrunnen munter vor sich hin, die Balkontür stand offen und gab den Blick frei auf die große Kastanie vor dem Haus. Die Frau hatte anscheinend gerade gebügelt, zwei Wäschekörbe standen neben dem Bügelbrett, an dem barocken Rahmen eines Stilllebens hingen auf Kleiderbügeln drei makellos glatte Oberhemden. Der Fernseher war auf einen Kaufkanal eingestellt.
Schönfelders Mutter schaltete das Gerät aus, setzte sich, nachdem Astrid und Cox auf dem Sofa Platz genommen hatten, auf die Sesselkante und faltete die Hände im Schoß.
«Ich weiß nicht, wohin unser Bastian gefahren ist.» Es war ihr sichtlich unangenehm. «Er hat angerufen und gesagt, er ist drei Wochen weg, und ob ich die Blumen gießen würde. Dabei sind die doch längst alle vertrocknet.»
Als sie aufschaute, hatte sie Tränen in den Augen. «Wir haben nicht mehr viel Kontakt seit … seit dieser schrecklichen Geschichte. Warum suchen Sie meinen Sohn denn?»
«Er könnte uns vielleicht bei einer Ermittlung helfen», antwortete Cox ausweichend.
Frau Schönfelder musterte ihn. Erst jetzt schien ihr der cremefarbene Anzug mit der geblümten Weste aufzufallen, besonders staunte sie über den breitkrempigen Strohhut, den er auf dem Schoß hielt.
«Sie sprachen von einer schrecklichen Geschichte», hakte Astrid nach. «Was meinten Sie denn damit?»
«Mein Sohn hat im vorigen Jahr seine Frau und seinen kleinen Sohn verloren. Es war furchtbar, ganz schrecklich. Bastian und Saskia waren schon in der Schulzeit ein Paar, sie haben zusammen mittlere Reife gemacht. Unser Junge war immer sehr strebsam. Ich weiß gar nicht, auf wen der kommt.»
1997 hatten die beiden geheiratet, und als anderthalb Jahre später das Kind geboren wurde, hatte Saskia ihre Arbeit bei der Kreisverwaltung aufgegeben, um ganz für die Familie da zu sein. Im letzten Sommer hatten sie Urlaub in Holland gemacht, in Renesse. Und bei einem Spaziergang hatte ein Auto Saskia mitsamt dem Kinderwagen überfahren. Frau und Kind waren auf der Stelle tot gewesen, der Fahrer war geflüchtet.
«Und unser Bastian hat das alles mit ansehen müssen und nichts tun können.»
«Mein Gott, wie grausam!», entfuhr es Astrid. «Es tut mir so Leid.»
Die Mutter nickte. «Und seitdem ist er einfach nicht mehr der Alte.» Sie schluckte tapfer die Tränen hinunter. «Nein, das stimmt eigentlich gar nicht», verbesserte sie sich. «Irgendwie tut der so, als wäre gar nichts passiert. Es gruselt einen richtig. Ich hab ihn nicht ein einziges Mal weinen sehen, und er hat nach dem Unfall nicht einen Tag auf der Arbeit gefehlt. Die Polizei hat ihm gesagt, er soll als Nebenkläger auftreten – man hat den Kerl, der sie totgefahren hat, nämlich doch noch erwischt –, wollte er aber nicht. Er ist nicht mal zur Gerichtsverhandlung gegangen. Und zu uns kommt er auch nicht mehr. Dabei hatten wir früher viel Kontakt. Aber seitdem? Nichts! Ganze zweimal war er bei uns, an Weihnachten und jetzt im Juli, wie mein Mann Geburtstag hatte. Und da hat er über, ich weiß nicht, übers Wetter gesprochen und solche Sachen. Ich bin öfters bei ihm gewesen und hab gedrängelt: Jung, du musst zum Doktor, du musst zu einem, der dir helfen kann, aber da hat er nie was drauf gesagt. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Die Freunde, die die zwei hatten, die kriegen ihn auch nicht mehr zu Gesicht.»
Ein gewaltiges Gewitter braute sich zusammen, der Himmel, bleigrau, drückte auf die Erde, dass das Atmen schwer wurde. Die Fenster im Büro waren weit geöffnet, aber das brachte keine Erleichterung, nichts regte sich. Die ersten fernen Blitze, es roch nach Schwefel.
«Dann war es doch der Kinderwagen», sagte van Appeldorn in die knisternde Stille hinein.
Toppe drehte sich vom Fenster weg zu ihm um.
«Den Kinderwagen in Griethausen, meine ich. So wie seine Mutter Bastian Schönfelder beschreibt, ist dieser Mann schwer traumatisiert.»
Astrid stimmte ihm zu. «Ich finde es ganz schrecklich, aber genau verstehen tu ich es nicht. Schönfelder wird zufällig Zeuge, wie Geldek Frau Wächter und ihr Baby in Griethausen fast über den Haufen fährt. Er dreht durch, verfolgt Geldek und erschlägt ihn. Aus Rache, oder was? Stellvertretend für den Mann, der Saskia und seinen Sohn auf dem Gewissen hat?»
«Nein, so simpel ist das nicht», antwortete van Appeldorn. «Für Traumata bin ich mittlerweile ja quasi Experte.» Es
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