Augenzeugen
klang nicht bitter, eher ein wenig entschuldigend. «Wenn Schönfelder die Szene in Griethausen erlebt, dann ist er plötzlich wieder in Renesse. Sein Erlebnis dort überlagert die Realität. Beides ist für ihn deckungsgleich. Und das kann er nicht kontrollieren. Er handelt so, wie er in Renesse handeln wollte. Vor ihm steht nicht Geldek, sondern der Mann, der seine Familie auf dem Gewissen hat.»
«Die arme Sau», murmelte Cox. «Was für ein bekloppter Zufall! Ich meine, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in seinem Leben auch nur einmal live dabei ist, wenn eine Frau mit Kinderwagen von einem Auto angefahren wird? Die tendiert doch gegen null!»
Der erste Donner ließ alle zusammenfahren. Eine bedrohliche Windbö brachte die Fensterflügel zum Schlagen, aber noch fiel kein Tropfen, die Luft war sirupdick.
Astrid zog die Schultern zusammen und rubbelte sich die Oberarme. «Ich mach die Fenster zu.»
«Nein.» Van Appeldorn hielt sie zurück. «Warte, bis es regnet, damit wir endlich ein bisschen Luft kriegen.»
«Aber mir ist unheimlich.»
Toppe stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. «Wir müssen Schönfelder finden.»
Van Appeldorn rollte seinen Stuhl an den Computer. «Gut, geben wir ihn in die Fahndung. International wohl, wenn er in Urlaub gefahren ist.»
«Ach, komm», meinte Cox. «Urlaub! Der ist abgetaucht.»
«Das glaub ich nicht», erwiderte van Appeldorn. «Der hat keine Angst, geschnappt zu werden, weil er sich nicht schuldig fühlt. Für den sind beide Ereignisse ein und dasselbe. Ich bin mir nicht sicher, aber ich könnte mir vorstellen, er weiß gar nicht, was er getan hat, und wenn, dann ist es ihm völlig egal.»
Blitz und Donner kamen gleichzeitig, und endlich ließ der Himmel los. Es schüttete von nichts auf gleich mit solcher Wucht, dass die Regentropfen von den Fensterbänken bis auf die Schreibtische spritzten.
Schließlich war es Cox, der die Fenster schloss. «Bevor wir Schönfelder in die Fahndung geben, könnten wir noch eines probieren.» Er musste laut sprechen, denn es krachte und knallte ohne Unterlass. «Hier!» Er hielt einen Ring mit drei Schlüsseln hoch. «Hat mir die Mutter gegeben. Vielleicht finden wir in Schönfelders Wohnung einen Hinweis darauf, wo er jetzt steckt.»
Siebzehn
In der Wohnung war es stickig, und es roch nach Toilettenreiniger.
Sie streiften Latexhandschuhe über und öffneten erst einmal alle Fenster, es nieselte nur noch.
Die kleine Küche war blank geputzt. Die Kühlschranktür stand offen, das Gerät war abgeschaltet und leer geräumt. Auch im Wohnzimmer sah es ordentlich aus, auf dem marineblauen Teppichboden erkannte man noch die Spuren des Staubsaugers.
Es gab eine Schrankwand, in der ein paar Fotoalben standen und eine Sammlung kleiner Glastiere. Kein einziges Buch, stellte Toppe fest und öffnete die Schubladen. Ein buntes Sammelsurium von Prospekten, Kinokarten, Minzbonbons, Einwegfeuerzeugen und Heftpflaster in der einen, eine Geldkassette, Büroklammern, Stifte, Schere, Klebstoff und irgendwelche Schnipsel in der anderen. In einem beleuchteten Barfach stand eine einsame Flasche Kokoslikör.
Auf dem Couchtisch lagen, gerade ausgerichtet in einer Reihe, ein paar Zeitschriften, Stern, Gala, Für Sie und Freundin . Astrid sah sie sich genauer an. «Die sind alle von vor vierzehn Tagen.»
Neben dem Fenster hingen zwei gerahmte Fotografien, beides Studioaufnahmen. Das Hochzeitsfoto: Ein großer, athletisch gebauter Mann mit blondem Haar und auffallend blauen Augen lächelte ein wenig linkisch in die Kamera, die Braut im weißen Spitzenkleid mit Reifrock reichte ihm nicht einmal bis zur Schulter. Auf dem anderen Bild saßen die beiden dicht nebeneinander und blickten andächtig auf das Baby im Taufkleid, das die junge Frau im Arm hielt.
Alles in diesem Raum blitzte vor Sauberkeit, nur der Videorecorder und die Kassetten auf dem Bord darüber waren mit einer dicken Staubschicht überzogen.
Im Schlafzimmer stand ein Doppelbett mit zwei Kopfkissen und zwei Decken, offensichtlich frisch bezogen, die Wäsche duftete nach Weichspüler. Die Nachttischlampe auf der linken Bettseite war mit einem rosa Chiffontuch verhängt. Gegenüber vom Bett ein verspiegelter Kleiderschrank, obendrauf ein roter Nylonkoffer, in der Lücke zwischen Schrank und Wand zwei leere Windelkartons.
Die letzte Tür, die sie öffneten, führte in ein himmelblaues Kinderreich. Wolkentapeten, Teddybären, wohin man schaute, auf
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