Augenzeugen
den Vorhängen, der Bettwäsche, der Wickelauflage. Im Gitterbettchen tummelten sich Kuscheltiere, eine Spieluhr baumelte über dem Kopfende. Auch hier nirgendwo ein Stäubchen.
Cox betrachtete die Pflanzen auf der Fensterbank, die blattlos, genau wie die im Wohnzimmer und in der Küche, in trockener, rissiger Erde steckten.
«Manchmal hasse ich unseren Job aus tiefstem Herzen.»
Astrid hatte die Schubladen der Wickelkommode aufgezogen und strich leise über die Kleidungsstücke. «Größe 68», murmelte sie. «Mein Gott, der war noch so klein!»
Cox wandte sich um. «Ich nehm mir das Bad vor.» Es klang schroff.
Van Appeldorn ging ins Schlafzimmer, und Toppe verschwand in der Küche.
Sie brauchten nicht einmal zwanzig Minuten.
«In der einen Hälfte vom Kleiderschrank hängt nur Frauenkleidung», berichtete van Appeldorn. «Ich habe sämtliche Hosen-, Jacken- und Manteltaschen durchgesehen, aber nichts, nicht einmal ein Kassenbon. Der Koffer auf dem Schrank ist leer. In den Nachttischen liegen ein paar Duftkerzen und ein Taschenbuch, The Joy of Sex , das ist alles.»
Toppe hatte sich durch einen dicken Stapel Altpapier gearbeitet, dabei aber nur Tageszeitungen, Anzeigenblätter und Werbebroschüren gefunden.
«Im Badezimmer stehen lauter Kosmetika rum, Enthaarungscreme, Parfums und so», sagte Cox. «Und über der Heizung hängt ein Babybadetuch.» Er hielt ihnen einen Plastikbeutel hin. «Ich habe einen Kamm gefunden, in dem ein paar Haare steckten. Die meisten davon haben Wurzeln. Die dürften reichen für eine DNA-Analyse.»
«Tja», meinte van Appeldorn. «Es bleibt eigentlich nur noch das Zeug im Wohnzimmerschrank. Das haben wir nicht gründlich durchgeschaut.»
«Warte!» Cox holte die beiden Windelkartons aus dem Schlafzimmer. «Das passt alles hier rein, ist ja wenig genug. Im Büro gucken wir’s dann in Ruhe durch.»
Er wollte nur noch raus aus diesen gespenstischen Räumen.
Als sie die Kisten im Kofferraum verstauten, fiel es ihm wieder ein: «Zu Schönfelders Wohnung gehört ein Keller.» Er blinzelte, um die verblasste Schrift auf dem Schlüsselanhänger entziffern zu können: Keller 10 für Wohnungen 3 und 4.
Viel gab es nicht in dem kahlen Raum. An der einen Seite eine männliche Schaufensterpuppe, der beide Hände fehlten, ein Kleiderständer auf Rollen, ein Wäschekorb voll alter Schulbücher und Hefte, ein nagelneues Dreirad, an der gegenüberliegenden Wand ein brauner Karton, der offenbar zum größten Teil Fotos enthielt.
Wäschekorb und Karton nahmen sie mit. Auf der Rückfahrt sprachen sie kein Wort.
Astrid ging nicht mit ins Büro. «Ich muss Katharina abholen, sie ist auf dem Ponyhof.»
«Was?» Toppe blieb stehen.
«Ja, meine Eltern haben sie hingebracht, aber sie konnten nicht die ganze Zeit bleiben.»
«Wie bitte?» Er wurde kreidebleich. «Willst du mir erzählen, dass Katharina mutterseelenallein auf diesem Hof ist?»
«Himmel, natürlich nicht! Clemens passt auf sie auf, bis ich komme.»
«Bist du komplett verrückt geworden?», schrie er. «Bist du blind? Hast du nicht gesehen, wie dieser Kerl unser Kind immer anguckt? Der ist krank!» Er schob sie rüde beiseite und rannte zu seinem Auto.
Astrid war schwindelig. «Jetzt dreht er komplett durch.» Sie sah Cox und van Appeldorn an, voller Verzweiflung. Beide legten ihr gleichzeitig die Hand auf die Schulter. «Mach Feierabend für heute», raunte Cox.
Astrid schüttelte wie betäubt den Kopf.
Van Appeldorn stieß sie an. «Jetzt hau schon ab!»
Sie ging.
Toppe merkte nicht, dass er zu schnell fuhr, er hatte viel zu viel damit zu tun, die Bilder, die ihn überfielen, zu sortieren: Alina Escher, wie sie zerschmettert und blutend in einer Grube lag, ihr offener Blick auf dem Foto auf seinem Schreibtisch, Eschers gequältes Gesicht, immer noch nach all den Jahren, Katharinas Kirschenaugen, voller Freude und Vertrauen, und Böhmer, der sich mürrisch gab, wenn man ihn beobachtete, der völlig dahinschmolz, wenn Katharina zu ihm getrippelt kam. Er hatte sie Engelchen genannt und Prinzessin, wenn er dachte, keiner hörte ihn.
Die Einmündung zum Reiterhof nahm Toppe so schnell, dass das Heck des Wagens ausbrach und am Torpfosten entlangschrabte. Er achtete nicht darauf, bremste erst am Stallgebäude ab und stieß die Fahrertür auf.
Katharina schrie.
Sein Herz setzte aus, er stürmte um die Ecke.
«Nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von meinem Kind! Sofort!»
Wieder schrie Katharina vor Wonne, denn Böhmer
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