Augenzeugen
wirbelte sie im Kreis herum, dass ihr Haar nur so flog.
«Nochmal», jubelte sie.
Aber Böhmer hielt erschrocken inne, sein Lachen war weggewischt.
Toppe packte ihn am Arm und schüttelte ihn.
Katharina purzelte zu Boden und fing an zu weinen.
Astrid nahm Toppe die immer noch verstörte Katharina ab.
«Du lebst ja noch, Muckelchen! Wer hätte das gedacht? War’s schön?»
«Ja.» Katharina wurde schwer in ihren Armen.
«Ich hab dir Schokoladensuppe gekocht. Ist das gut?»
«Jaa …» Katharina legte ihren Kopf auf Astrids Schulter und steckte den Daumen in den Mund.
«So müde?»
«Will sslafen!»
Toppe schloss die Haustür. «Hör zu, Astrid, es tut mir Leid, ich weiß auch nicht, was …»
«Vergiss es!» Ihre Lippen bebten. «Ich bring sie ins Bett, sie ist viel zu müde zum Essen. Und danach geh ich nochmal weg.»
Er nickte. «Natürlich.»
Peter Cox fand keine Ruhe.
Wie jeden Dienstag hatte er seine Bettwäsche gewechselt und einen frischen Schlafanzug rausgelegt. Danach hatte er Irina eine lange Mail geschickt, ihr von den Fortschritten im Mordfall Geldek erzählt – natürlich ohne Namen zu nennen – und auch aus seiner Verwirrung keinen Hehl gemacht.
Seinen allabendlichen Becher Ovomaltine hatte er wie immer mit einer Prise Muskat gewürzt und es sich damit in seinem Ohrensessel bequem gemacht, um die «Tagesthemen» zu schauen, aber er konnte sich einfach nicht konzentrieren.
Es war ihm unbegreiflich, dass Astrid aus dem hohlen Bauch heraus mitten in die zwölf getroffen hatte, wie es schien. Und die anderen wunderten sich nicht einmal.
Er schaute auf die Uhr und haderte eine Weile mit sich selbst. Schließlich ging er zum Bücherregal, zog den Brockhausband BEG – DAM heraus und entnahm seinem Vorrat für «Krisensituationen» ein kleines Stückchen belgischen Konfekts und eine gelbliche Zigarette russischen Ursprungs.
«Nervennahrung», dachte er. Danach würde er bestimmt schlafen können.
Arend Bonhoeffer stammte aus einer wohlhabenden westfälischen Akademikerfamilie. Er war ebenso alt wie Toppe und lebte seit vielen Jahren mit einer bekannten Malerin zusammen. Seine Leidenschaft galt gutem Essen, gutem Wein, kostbaren Erstausgaben und englischen Autos. Früher hatten Toppe und Astrid sich regelmäßig mit ihm getroffen, sie hatten gemeinsam gekocht und gegessen und oft bis in den frühen Morgen über Gott und die Welt geredet.
Als er die Haustür öffnete, schaute er Astrid nur kurz an, zog sie dann wortlos in seine Arme und drückte tröstend ihren Kopf an seine Schulter.
«Wollen wir uns nach draußen setzen?», fragte er nach einer Weile. «Ich hab schon Wein aufgemacht.»
«Ich muss doch noch fahren», antwortete Astrid mit dünner Stimme.
«Wozu gibt es Taxis? Mach einem einsamen Mann die Freude, ja? Ich bin nämlich mal wieder Strohwitwer, Sofia bereitet in Stuttgart eine Ausstellung vor.»
Im Vorübergehen nahm er eine Rotweinkaraffe und zwei Burgundergläser von der Anrichte mit.
In der gemauerten Feuerstelle auf der Terrasse loderte ein Holzfeuer.
«Tut mir Leid, dass ich dich einfach so überfalle, aber ich weiß mir keinen Rat mehr, ich muss einfach mit jemandem reden.» Astrid fuhr sich durchs Haar. «Helmut zieht sich völlig von mir zurück. Wenn ich versuche, an ihn ranzukommen, lauf ich ins Leere. Er ist deprimiert, irgendwie vollkommen stumpf, meistens jedenfalls. Mittlerweile glaube ich, er will sich von mir trennen, aber ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, was ich falsch mache.»
Bonhoeffer füllte die Gläser und zögerte einen Moment. «Du machst gar nichts falsch, Astrid. Es liegt an Helmut, nicht an dir.»
Sie begrub ihr Gesicht in den Händen. «Aber ich verstehe es nicht. Solange wir alle auf dem Hof gelebt haben, lief es doch gut mit uns, sehr gut.»
Bonhoeffer streckte die Beine aus, schaute ins Feuer und drehte das Weinglas zwischen den Händen. «Was weißt du eigentlich von Helmut, wie er groß geworden ist, seine Eltern, seine Kindheit?»
«So gut wie nichts. Ich weiß eigentlich nur, dass er ein Einzelkind war, dass sein Vater früh gestorben ist und dass seine Mutter ihn wohl ziemlich verwöhnt hat.»
«So kann man es auch ausdrücken!» Bonhoeffer schnaubte. «Ich habe seine Mutter noch gekannt. Sie war eine verbitterte Frau, die Helmut entsetzlich unter der Knute hatte, moralisch meine ich.» Er überlegte einen Moment. «Helmuts Vater ist als sterbenskranker Mann aus dem Krieg zurückgekehrt, er hatte
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