Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
Hand nach mir aus, um mir übers Gesicht zu streicheln, und ließ sie dann frustriert wieder fallen. »Verdammt!«, fluchte er. »Ich kann dich nicht mal mehr trösten. Ich bin zu gar nichts mehr zu gebrauchen. Gottverdammte Scheiße!«
»Bitte sag so etwas nicht«, flüsterte ich.
»Wieso nicht, wenn es doch die Wahrheit ist«, stieß Logan verbittert hervor. »Ich treibe mich die ganze Nacht da draußen auf den Straßen der Stadt rum und sehe haufenweise Leute, die tief in der Scheiße stecken. Obdachlose, die in irgendwelchen dunklen Gassen verrecken. Nutten, die zusammengeschlagen werden. Zehnjährige, die mit Crack dealen. Und dabei sind das noch nicht mal die wirklich krassen Viertel. In die komme ich gar nicht, weil ich zu meinen Lebzeiten nie dort war.« Er zeigte zum Fenster. »Man kriegt nur über die Nachrichten mit, was in der Welt da draußen läuft, und vergisst alles sofort wieder, weil man ja sowieso nichts ändern kann und genügend eigene Probleme hat. Dabei hätte es verdammt viel gegeben, was ich hätte tun können – jedenfalls verglichen mit dem, was ich jetzt tun kann.«
Mir schoss durch den Kopf, dass Geister sich sehr wohl nützlich machen können. Vielleicht noch nicht jetzt, aber sobald die ersten Post-Shifter alt genug waren, um bei der Polizei zu arbeiten, könnten Geister als die ultimativen Wachleute eingesetzt werden und sofort Meldung erstatten, wenn irgendwo etwas passiert war. Ich wollte Logan gerade davon erzählen, als er mich niedergeschlagen ansah und weitersprach.
»Verdammt, Aura«, flüsterte er. »Ich wünschte, ich könnte dir auch nur eine einzige Träne von der Wange wischen. Dann würde ich mich wie ein vollwertiger Mensch fühlen und nicht wie ein nutzloses Bündel violetter Strahlen …«
»Aber das kannst du.« Ich streckt die Hand aus. »Hier. Leg deine Hand über meine.«
Meine Hand bekam unter seiner selbst einen violett schimmernden Schein. Ich führte sie behutsam zu meinem Gesicht, bis ich an der Kuppe meines Mittelfingers die Nässe spürte.
»Ich liebe dich so sehr«, wisperte Logan mit erstickter Stimme. »Ich wünschte, du müsstest nicht traurig sein.«
Die Tränenspur, die unsere Finger weggewischt hatten, wurde von einer neuen ersetzt. »Lass mich weinen, Logan. Ich muss den Schmerz rauslassen.«
Er rutschte so dicht an mich heran, dass sein heller Schimmer mich blinzeln ließ, und legte den Kopf neben meinen aufs Kissen. Hätte er Lungen gehabt, hätte ich seinen Atem auf meinen zitternden Wimpern gespürt, so nah war er mir. »Ich bleibe hier, bis du eingeschlafen bist«, flüsterte er. »Und morgen Abend komme ich wieder. Wenn du das willst.«
Ich nickte stumm und schloss die Augen.
Elftes Kapitel
In den darauffolgenden Wochen besuchte Logan mich jeden Abend, blieb aber nie bis zum nächsten Morgen, weil es für ihn auf Dauer natürlich ziemlich langweilig war, mir beim Schlafen zuzusehen. Außerdem kam er sich dabei immer ein bisschen wie ein Stalker vor. Wenn ich jedoch nach ihm rief, kehrte er stets sofort zu mir zurück. Das tat ich allerdings nur, wenn ich schlecht geträumt hatte. Es genügte mir zu wissen, dass er am nächsten Abend wieder da sein würde.
Meistens hörten wir zusammen Musik. Da Logan keine Kopfhörer mehr aufsetzen konnte, schob ich meine Docking Station unter die Bettdecke und stellte den Ton ganz leise. Oft lagen wir auch einfach nur nebeneinander und lasen in seinem violetten Schein Bücher oder Zeitschriften. Und manchmal fragte er mich für die Schule ab, obwohl das nicht so einfach war, da er ja keine Seiten mehr umblättern konnte.
Wenn ich müde wurde, sang er mich leise in den Schlaf. Bei Songs wie If I Ever Leave This World Alive von den Flogging Mollys oder Chasing Cars von Snow Patrol liefen mir oft die Tränen übers Gesicht, weil ich beim Hören der Lyrics das Gefühl hatte, als wären sie extra für uns geschrieben worden. Aber er sang auch irische Schlaflieder oder Stücke, die er selbst geschrieben hatte.
Jedoch nie den Song, den er mir in der Nacht seines Todes hatte vorsingen wollen.
Aber vor allem redeten wir stundenlang. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt, als ich oft bei ihm übernachtet hatte oder er bei mir. Wenn ich zu laut lachte, klopfte Tante Gina an die Tür, und fragte, was los sei – ich behauptete dann jedes Mal, ich würde irgendwelche lustigen Clips bei YouTube schauen. Ihr blieb gar nichts anders übrig, als mir zu glauben, schließlich konnte sie Logan weder
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