Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
sehen noch hören. Und immer bevor sie sonntags unsere Bettwäsche wechselte, versteckte ich den dunkelblauen Bezug in meiner Wäschekommode und präparierte den roten mit Colaflecken und Kekskrümeln, damit er benutzt aussah.
Gut möglich, dass sie zwischendurch Verdacht schöpfte, aber beweisen konnte sie mir nichts. Außerdem war ich glücklich. Mein Freund war zwar tot, doch dafür verbrachte ich jetzt sogar mehr Zeit mit ihm als vorher.
Tagsüber und abends suchte er Dylan und die Post-Shifter aus unserer alten Clique heim, ging auf Konzerte oder feierte Partys. Aber die Nächte gehörten uns ganz allein.
Einen Monat nach unserer ersten Besprechung bei Eowyn fanden Zachary und ich uns erneut in ihrem Büro ein. Da sie diesmal noch nicht da war und keine Teekanne auf dem niedrigen Tischchen stand, setzten wir uns in die Sessel vor ihrem Schreibtisch, um auf sie zu warten. Die Bücherstapel, die bei unserem letzten Besuch noch jede freie Fläche für sich beansprucht hatten, waren mittlerweile offenbar in die Regale geräumt worden, dafür standen jetzt zwei Laptops auf dem Tisch, die von schwankenden Manuskripttürmen und wie Stäbchen eines Mikadospiels verstreut liegenden Stiften umgeben waren.
»Sie ist schon fast zehn Minuten zu spät«, bemerkte Zachary gerade, als er eine SMS bekam – ich hatte mittlerweile so viel Zeit mit ihm verbracht, dass ich den Ton kannte. Er klappte sein Handy auf und lächelte, während er die Nachricht las. »Sorry, aber darauf muss ich gleich antworten«, entschuldigte er sich höflich, bevor er zu tippen anfing. Immerhin wusste er, was sich gehörte.
Um mich zu beschäftigen, zog ich meine beiden Ordner aus der Tasche und schlug den violetten auf, in dem ich das Tagebuch meiner Mutter und ihre Fotos aufbewahrte.
Dienstag, 25. Dezember
Ich habe vorhin zu Hause angerufen, um Mom und Gina frohe Weihnachten zu wünschen (oder »glückliche« Weihnachten wie man hier in Irland sagt), aber die beiden waren extrem wortkarg. Wahrscheinlich sind sie immer noch sauer, weil ich über die Feiertage nicht wie geplant nach Hause gekommen bin. Vielleicht bleibe ich ganz hier. Obwohl … ohne meine heiß geliebten Philadelphia-Cheesesteaks kann ich auf Dauer nicht leben.
Mittwoch, 26. Dezember
Als ich heute auf einer St.-Stephen’s-Day-Party im Pub war, ist etwas sehr Merkwürdiges passiert. Eigentlich ist in unserer Familie Gina diejenige, die Geister sieht (ich glaube ja nicht mal an sie!), weshalb ich eher geneigt bin zu glauben, dass irgendwas im Whiskey war (mal abgesehen von dem vielen Whiskey), trotzdem könnte ich schwören, dass ich …
Der Rest des Eintrags war mitten im Satz herausgerissen worden. Ich fuhr mit der Fingerkuppe nachdenklich über die gezackte Kante des Papiers, als die Tür geöffnet wurde.
»Entschuldigt bitte die Verspätung!«, rief Eowyn, die sich ihre langen blonden Haare mit einem glitzernden blauen Tuch zurückgebunden hatte. Abgesehen davon, dass unter ihren Augen tiefe Schatten lagen, sah sie so frisch und munter aus, als hätte sie gerade in reinem Quellwasser gebadet.
»Ah, wie ich sehe, habt ihr mir etwas mitgebracht!« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und öffnete die Mappe, in der unsere erste Sternenkarte lag.
Ich klappte hastig den violetten Ordner zu und schob ihn unter den gelben mit den Unterlagen für unser Projekt, der auf meinem Schoß lag. Eigentlich brannte ich darauf, jemandem von meiner Theorie zu erzählen, aber ich wollte erst noch ein paar weitere Recherchen anstellen, damit ich mir wirklich sicher sein konnte, dass ich mit meiner Vermutung recht hatte. Möglicherweise wäre es jedoch selbst dann noch zu gefährlich, jemand anderen einzuweihen.
»Tolle Arbeit.« Eowyn nickte anerkennend, während sie unsere Sternenkarte betrachtete. »Sehr detailliert und trotzdem nicht so perfekt, dass sich der Verdacht aufdrängen würde, ihr hättet geschummelt und alles aus einem Buch abgezeichnet.« Sie lehnte sich lächelnd in ihrem Stuhl zurück. »Ihr seid ein gutes Team. Man merkt, dass ihr gern Zeit miteinander verbringt.«
Ich brauchte Zachary nicht anzuschauen, um zu wissen, dass ihn die Bemerkung genauso verlegen machte wie mich.
»Heißt das vielleicht, dass wir die anderen Karten gar nicht mehr zeichnen müssen, wenn diese so gut geworden ist?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Habt ihr euch deswegen so viel Mühe gegeben?« Eowyn legte die Karte in die Mappe zurück und klappte sie zu. »Tut mir leid, aber da muss ich
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