Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
Keeleys früher gewohnt hatten und das während der Prohibitionszeit eine sogenannte »Flüsterkneipe« gewesen war, ein inoffizielles Lokal, in dem verbotenerweise Alkohol ausgeschenkt wurde. Wenn man sie umlegte, klappten Geheimfächer in der Wand auf, in denen der illegale Alkohol gelagert worden war. Eowyn richtete sich auf und löste die Reißzwecken, worauf das Poster sich wieder entrollte und das Regalfach verbarg. Als Nächstes nahm sie eines der Bücher vom Stapel, legte es aufgeschlagen auf den Schreibtisch und drehte das Modell von Newgrange dann mit der Vorderseite zu mir.
»Zur Wintersonnenwende scheint die aufgehende Sonne durch diese Öffnung in eine Kammer im Inneren des Grabes. Hier, siehst du?« Eowyn zeigte auf einen kleinen rechteckigen Durchlass direkt über dem Eingang. Anschließend nahm sie das Dach des Models ab, unter dem sich ein schmaler, in einer kreuzförmigen Kammer mündender Gang verbarg, reichte mir das Buch, dessen Seiten ganz abgegriffen und vergilbt waren, und deutete auf eine sepiabraune Fotografie. »Wenn die Sonne aufgeht, fällt ein Lichtstrahl in den Gang, der sich Stück für Stück über den sandigen Boden, die in die Wände gemeißelten Symbole und die drei Nischen tastet, bis er schließlich die gesamte Kammer erhellt. Das ganze Schauspiel dauert etwa fünfzehn bis siebzehn Minuten.«
Ich betrachtete das Foto. Es zeigte einen Mann, der neben einer in den Fels geritzten Spirale stand. Ich hatte zwar gewusst, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne zur Wintersonnenwende in das Innere von Newgrange schienen, aber von diesen Wandnischen hatte ich bisher noch nie etwas gehört. »Was haben die Nischen zu bedeuten?«, fragte ich.
»Manche Archäologen glauben, dass sie Mutter, Vater und Kind symbolisieren.« Eowyn blätterte in dem Buch und zeigte mir Nahaufnahmen der Nischen.
Zachary beugte sich interessiert vor. »Ist es möglich, die Kammer zu besichtigen?«
»Es finden dort das ganze Jahr über Führungen statt«, erwiderte Eowyn. »Aber wenn man den Tag der Wintersonnenwende erleben möchte, muss man an einer Art Lotterie teilnehmen. Jeweils fünfzig Leute werden ausgelost, von denen jeder noch eine weitere Person mitbringen darf.«
Ich wurde ganz aufgeregt, als ich die Bilder betrachtete. War das womöglich der Ort, an dem meine Mutter meinem Vater begegnet war? War das der Grund, warum sie die Fotos von Newgrange versteckt hatte?
»Sind Sie selbst auch schon mal dort gewesen?«, fragte ich Eowyn, während ich andächtig in dem Buch blätterte.
»Mhm, ja«, antwortete sie ausweichend.
»Und wann war das?«, hakte Zachary nach.
»Ich bin mehrmals aus beruflichen Gründen dort gewesen, aber die Wintersonnenwende habe ich nur einmal erlebt. Ich habe keine Ahnung mehr, wann genau das gewesen ist.« Sie klappte das Buch so hastig zu, dass sie fast meine Finger zwischen den Seiten eingeklemmt hätte. »Es gibt aber auch noch viele andere Anlagen, mit denen ihr euch beschäftigen könntet und die dieser hier ähnlich sind. Das schottische Maes Howe hat Zachary ja bereits erwähnt und hier in den Staaten könntet ihr euch den Chaco Canyon in …«
»Würden Sie mir das Buch leihen?«, fragte ich so begierig, dass es mir fast schon peinlich war. »Ich weiß, dass es sehr alt und bestimmt wertvoll ist, aber ich schwöre Ihnen, dass ich gut darauf aufpassen werde.«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Eowyns Gesicht. »Tja, also …«, begann sie zögernd. »Im Anhang findet sich eine sehr umfangreiche Bibliografie, die durchaus nützlich ist. Primärquellen, von denen wir viele hier in der Fakultätsbibliothek stehen haben.« Sie trommelte mit ihren langen, schmalen Fingern ein schnelles Stakkato auf den Einband des Buches. »Informationen, die man so niemals im Internet finden würde.« Sie schien noch einen Moment lang mit sich zu ringen, bevor sie nickte und mir den dicken Wälzer zuschob.
»Danke!« Ich konnte gerade noch an mich halten, mir das Buch nicht an die Brust zu drücken.
»Warte, ich gebe dir lieber eine Tüte mit.« Eowyn öffnete eine Schublade an ihrem Schreibtisch. »Nichts gegen dich persönlich, Aura, aber ich weiß, wie es in den Rucksäcken meiner Studenten aussieht.« Sie steckte das schwere Buch in eine Plastiktüte und hielt sie mir dann hin.
Ich griff so hastig danach, dass mir die Ordner vom Schoss rutschten und die Fotos meiner Mutter herausfielen. Mir entfuhr ein erschrockener Schrei, doch zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass
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