Aura – Verliebt in einen Geist: Band 1 (German Edition)
solange ich Logans Stimme hörte, konnten wir zumindest so tun.
Sechzehntes Kapitel
Trotz meines enormen und immer größer werdenden Schlafdefizits schaffte ich es in den folgenden Wochen immerhin, alle noch anstehenden Prüfungen in der Schule erfolgreich hinter mich zu bringen und sogar Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Ich nahm mich selbst wie aus großer Distanz wahr, als würde ich einer Schauspielerin auf der Bühne zusehen, und staunte darüber, wie normal ich nach außen hin wirkte. Niemand merkte, wie sehr ich mich innerlich immer weiter von allem entfernte.
Aber wie sich herausstellte, machte ich mir nur selbst etwas vor.
Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien saß ich kurz nach dem Gong im Geschichtskurs und starrte auf eine Landkarte vorne an der Tafel, auf der die Verbreitung der Pest im Mittelalter grafisch dargestellt wurde, als Brian in den Raum gestürzt kam. Obwohl er den Kragen seiner Jacke hochgeklappt hatte und mit gesenktem Kopf an mir vorbei zu seinem Platz eilte, entdeckte ich sofort den blaugrün schillernden Fleck, der unter seinem linken Auge prangte.
Zachary, der eine Reihe vor mir saß, sah zum Fenster hinaus, wo die ersten Schneeflocken durch die Luft tanzten, und trommelte geistesabwesend mit seinem Stift auf die Tischplatte, was meine Aufmerksamkeit auf seine rechte Hand lenkte, die bandagiert war.
Als ich nach dem Unterricht meine Sachen einpackte, ließ sich Zachary auf den freien Platz neben mich fallen. »Ich habe dir einen Vorschlag zu machen, den du nicht ablehnen kannst.«
»Wenn du schon aus Der Pate zitierst, dann bitte wenigs-tens richtig. Es muss heißen, ein Angebot , das ich nicht ablehnen kann. Hatten wir nicht ausgemacht, dass Mafia- und Schottenwitze tabu sind?«
Er grinste. »Ich dachte, du lässt vielleicht Gnade vor Recht ergehen, weil ich morgen Geburtstag habe. Ich würde mir gern die Stadt anschauen.«
»Und wozu brauchst du mich dabei?«
»Ich brauche dich nicht, ich fände es einfach schön, wenn du mitkommen würdest. Bitte, Aura …« Er legte den Kopf schräg. »Ich möchte, dass du mir das Hafenviertel zeigst. Das hast du mir versprochen.«
»Nein, hab ich nicht.«
»Okay, vielleicht nicht wortwörtlich. Aber zum Geburtstag darf man sich was wünschen. Und ich wünsche mir, dass du die Fremdenführerin für mich spielst. Bitte? Ich lade dich auch zum Essen ein.«
Ich suchte nach einer glaubhaften Ausrede, ohne ihm die Wahrheit sagen zu müssen – dass ich selbst Geburtstag hatte und den Tag gern mit meinem toten Freund verbringen wollte. »Ich bin morgen Abend schon mit meiner Tante zum Essen verabredet.«
»Oh. Gibt es einen besonderen Anlass?«
Ich wich seinem Blick aus. »Eigentlich nicht. Es ist mehr so eine Art Vorweihnachtsessen.«
»Bis zum Abend sind wir längst wieder zurück.«
Ich legte meinen Stift hin. »Sei mir nicht böse, Zachary. Aber ich würde gern selbst entscheiden, wie ich den ersten Ferientag verbringe. Also hör auf, mich unter Druck zu setzen.«
»Aura?« Zachary beugte sich mit plötzlich ernster Miene zu mir vor. »Ich fürchte, es ist höchste Zeit, dass dich mal wieder jemand ein bisschen unter Druck setzt. Und ich hab das Gefühl, wenn ich es nicht tue, macht es niemand, weil die meisten anderen längst aufgegeben haben.« Er legte seine Hand auf meine. »Du verwandelst dich nämlich langsam, aber sicher selbst in einen Geist.«
Ich spürte, wie ich rot wurde, und riss mich los. »Ich brauche dein Mitleid nicht.« Ich deutete auf seine verbundene Hand. »Und du brauchst dich auch nicht als mein Rächer aufzuspielen.«
»Okay. Vergiss es einfach.« Zachary stand auf und hängte sich seine Tasche über die Schulter, dann murmelte er ein ironisches »Frohe Weihnachten« und schlängelte sich durch die Sitzreihen zur Tür durch.
»Warte«, rief ich leise, aber Zachary blieb sofort stehen und drehte sich um.
»Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht mitkomme.«
Der 21. Dezember setzte alles daran, der Welt zu beweisen, dass er vollkommen zu Recht zum kalendarischen Winteranfang bestimmt worden war. Ich hatte mich angezogen wie ein kleines Kind, das zum Rodeln verabredet ist. Die Wollmütze, die ich zusätzlich unter der Kapuze meines Mantels trug, presste meine Haare zwar platt an den Schädel, aber bei minus sieben Grad war ich bereit, jedes ästhetische Opfer zu bringen, um nicht zu erfrieren.
Zachary war glänzender Laune, wirkte aber gleichzeitig merkwürdig angespannt, als er mich bei mir zu Hause
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