Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Taylor kichern.
Meine Haarbürste, mein rosa Vergrößerungsspiegel, mein Kirsch-Labello, alle meine Sachen fliegen in hohem Bogen von meiner Kommode.
Klack! Klack! Klack!
– es hört sich an wie Schüsse aus einem Maschinengewehr. Ich nutze mein Kopfkissen als Schutzschild. »Hör auf!«, flüstere ich. »Du weckst meine Mutter auf!« Bücher fallen, eins nach dem anderen, aus meinem Bücherregal. Der Kleiderschrank öffnet sich und meine Klamotten fliegen in hohem Bogen aus dem Schrank und landen auf einem Haufen auf dem Boden.
Ich dachte immer, positive Energie sei stärker als negative. Aber Taylor zerstört gerade meine Theorie.
»Wie gefällt dir das?«, fragt sie mit ihrer komischen Mutanten-Stimme. »Bis zu deinem letzten Atemzug werde ich hinter dir her sein, Anna. Ich werde nur von deiner Seite weichen, um bei Rei zu spuken oder Seth im Gefängnis Gesellschaft zu leisten.«
Heute am Wasserfall hatte ich Angst vor ihr. Aber im Moment bin ich nur unglaublich wütend. Ich mache die Lampe an und sie knipst sie sofort wieder aus.
»Na schön!«, sage ich wütend. »Dann soll es eben so sein.«
Laut Newtons Gesetz gibt es für jede Aktion eine Reaktion. Wenn sie negativ ist, werde ich positiv sein. Wenn sie Dunkelheit will, werde ich mich mit Licht umgeben. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, weil ich so müde bin. Aber es gelingt mir schließlich, das Licht heraufzubeschwören.
»Lass mich bloß mit diesem dämlichen Licht in Ruhe!«, brüllt Taylor und saust durch das Fenster. Sie schlägt dabei so hart gegen meine Jalousie, dass sie zu Boden fällt. Ich sehe mir das Durcheinander an. Das alles muss ich aufräumen, bevor meine Mutter in mein Zimmer kommt. Ich beschließe, bis zum Morgen zu warten. Ich habe gerade noch genug Energie, um die Decke über mich zu ziehen.
»Danke«, flüstere ich.
Als ich zwölf Jahre alt war, dachte meine Mutter, dass ich eine Religion bräuchte. Ungefähr einen Monat lang brachte sie mich jeden Sonntag zur Kirche, und ich bewunderte, wie das Licht durch die bunten Glasfenster fiel, und überlegte mir, warum Menschen an einem Sonntag so früh aufstehen, um die immer gleichen Gebete zu murmeln. »Das nennt sich Glaube«, erklärte mir Rei damals. »Einige Menschen fühlen sich Gott näher, wenn sie in einer Kirche oder einem Tempel sind oder wo auch immer die Religion ihnen befiehlt hinzugehen.«
Rei lernt gerne Dinge über andere Religionen. Aber ich finde religiöse Theorien meist undurchsichtig und verwirrend. Ich weiß, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Ich habe keine Angst davor, dass mich nach dem Tod nur ein ewiger Schlaf erwartet. Und wenn ich mich Gott nahe fühlen will, dann gehe ich nach draußen und sehe in den sternenklaren Himmel. Glaube bedeutet für mich, meinem Instinkt zu folgen,wenn mein Verstand mir sagt, dass ich ein Idiot bin. Heute Nacht sagt mir mein Glaube, dass ich meine Augen schließen kann und ich in Sicherheit bin. Das Licht wird Taylor von mir fernhalten.
Und das Nächste, was ich wahrnehme, ist die Sonne, die am Morgen durch mein offenes Fenster dringt und mich an der Nase kitzelt.
Anderen Honig ums Maul schmieren ist eine Fähigkeit, die ich noch lernen muss. Meine Mum ist ein echter Profi darin. Ich laufe zusammen mit ihr durch das Krankenhaus, und sie flirtet mit den Angestellten, bis sie die Ärzte finden, die mich behandelt haben. Beide Ärzte schreiben Atteste für den Richter, auf denen steht, dass meine Gehirnerschütterung zu Gedächtnisverlust und eventuell sogar zu dissoziativer Amnesie (was auch immer das ist) geführt hat und dass die allergische Reaktion mein Gedächtnis wieder reaktiviert hat.
Aber was bedeutet das genau? Die Ärzte meinen, dass ich keine vertrauenswürdige Zeugin bin.
Nachdem wir die Atteste in der Hand halten, setze ich mich in die Wartehalle und versuche, wach zu bleiben, während meine Mutter meinen Vater besucht. Ich darf ihn noch nicht sehen. Meine Mutter hatte wohl recht. Der Entzug ist ziemlich unangenehm – außer man schwitzt und schüttelt sich gerne und halluziniert gerne über kleine Menschen, die über Wände krabbeln. Meine Mutter will nicht, dass ich ihn so sehe – als ob meine Meinung über ihn noch schlechter werden könnte. Ich streite mich aber nicht mit ihr. Sie hat versprochen, dass wir später zu
KFC
gehen, und ich kann es kaum erwarten, einextra großes, knuspriges Hühnchen-Menü mit einer doppelten Portion Pommes und Sauce vor mir zu haben und danach meinen
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