Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
rechts in die Dunkelheit des Waldes. Weder Mond noch Sterne hellen die Nacht auf, und ich versuche mir vorzustellen, wie es sein muss, ganz allein in einem verletzlichen menschlichen Körper irgendwo dort draußen zu sein. Sogar ohne Körper spüre ich kribbelnde Angst in mir, wenn ich daran denke, was in diesen Wäldern lauern könnte. Ich scanne die Umgebung des Waldes und finde etwas noch Unheimlicheres als einen Schwarzbären oder einen ausgewachsenen Elchbullen.
Ein Polizeiauto fährt langsam auf der angrenzenden Straße entlang und der Beamte auf der Beifahrerseite leuchtet mit einem Flutlichtstrahler in den Wald.
Rei fährt auf das Unigelände und parkt auf dem ersten freien Platz. Er wählt eine Telefonnummer und wartet.
»Matt!«, ruft er endlich. »Hier ist Rei Ellis.« Er drückt das Handy fester an sein Ohr und redet lauter. »
REI ELLIS. JA! HEY, HAST DU WAS VON SETH GEHÖRT?
« Ich höre im Hintergrund Partygeräusche. Es entsteht eine lange Pause. Rei sieht den Tropfen auf der Windschutzscheibe zu, wie sie zusammenfließen und einen kleinen Bach bilden. »NEIN, oh ja, das ist besser. Nein, ich bin im Moment auf dem Campus. In welchem Wohnheim bist du?« Rei sieht sich um und reckt den Hals in verschiedene Richtungen, bis er endlich entdeckt, wonach er Ausschau hält. »Okay. Ich sehe es. Ich treffe dich an der Tür.«
Matt sieht Seth unglaublich ähnlich. Er hat nur kürzeres Haar und einen Dreitagebart, den manche Mädchen unglaublich sexy finden. Ich finde, es sieht aus, als ob er vergessen hätte, sich zu rasieren.
»Rei!« Matt legt seinen Arm um Reis Schulter und drückt ihn freundschaftlich. »Ich habe dich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Schön, dich zu sehen!«
»Ja, gleichfalls Matt!«
»Tut mir leid wegen des Lärms. Am Samstagabend ist es hier immer etwas wild. Komm mit hoch.«
»Hast du was von Seth gehört?«, fragt Rei auf dem Weg nach oben, kurz bevor die Musik so laut wird, dass jede Konversation unmöglich wird.
»Nein, seit du dich gemeldet hast, habe ich darauf gewartet, dass er anruft.« Matt bleibt stehen. »Was zur Hölle ist mit ihm passiert? Mein Vater hat mich Anfang der Woche angerufen und mir gesagt, dass Seth ihm einen Zettel hinterlassen hat mit der Nachricht, dass er in Schwierigkeiten ist und nach Kanadageht. Dann hat Dad noch einmal angerufen und mir gesagt, dass sein Auto an der Grenze gefunden wurde. Die ganze Woche lang sind Polizisten auf dem Campus herumgelaufen, und das war nicht der Sicherheitsdienst der Uni. Einige waren sogar in Zivil. Aber erst als du heute Morgen angerufen hast, habe ich eins und eins zusammengezählt. Dann haben sie mich aufs Revier mitgenommen und mir eine Million Fragen gestellt.« Matt geht langsam die Stufen hoch. »Was ist mit diesem Mädchen passiert? Denken die wirklich, dass er sie in den Wasserfall gestoßen hat?«
»Ich glaube schon. Aber das stimmt nicht.«
»Das ist absolut unglaublich!« Matt sieht Seth noch ähnlicher, wenn er wütend ist. Als sie durch den Flur gehen, wird der Biergeruch immer stärker. Die Party ist auf dem Höhepunkt, als Matt und Rei reinkommen, und der Raum ist brechend voll. Irgendjemand legt laute Musik auf, vor allem Techno oder, wie Rei es nennt: den Bastard der Diskomusik. Einige tanzen, andere stehen einfach nur herum und brüllen sich an, um sich verstehen zu können. Andere nippen Bier aus Plastikbechern oder machen in den dunklen Ecken des Raums miteinander rum. Rei schüttelt den Kopf, als ihm jemand ein Bier anbietet.
»Ich sehe mal, ob ich eine Flasche Wasser für dich finden kann«, schreit Matt und verschwindet in die Menge.
Rei sieht sich ungeduldig um. Hier fällt es sicher keinem auf, wenn ich vor ihm sichtbar werde.
»Anna!« Sein Tonfall schwankt irgendwo zwischen Erleichterung und Schockzustand. »Was tust du? Jemand könnte dich sehen!«
Ich zucke mit den Achseln. Die Hälfte der Leute hier sieht zu betrunken aus, um den Unterschied zwischen einer echten Person und mir zu bemerken. Er sieht sich um und guckt nach, ob jemand mich komisch anstarrt, aber niemand beachtet uns.
»Wo ist Seth?«
Ich zeige auf sein Handy, das er in den letzten Minuten fest in der Hand gehalten hat für den Fall, dass Seth anruft, und beginne zu schreiben.
Er ist irgendwo im Wald bei den Hochspannungsmasten. Es wird schwierig, ihn im Dunkeln zu finden.
Die Energie hier ist vollkommen chaotisch. Es ist ganz einfach, genug Kraft zum Tippen aufzusaugen.
»Ich dachte, du weißt, wo er ist«,
Weitere Kostenlose Bücher