Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
aufzutreten. Taylor hat damals noch nicht einmal hier gelebt. Wie sollte sie das also wissen? Sie ignoriert die Frage.
»Warst du dieses Jahr nicht Dritte beim nationalen Ski-Abfahrtwettbewerb?«, fragt Mandy Paxton. Es wundert mich nicht, dass sie sich daran erinnert, denn ihr Bruder ist auch im Highschool-Skiteam. Seit ich sechs bin, kaufen Yumi und Robert mir zu Weihnachten einen Winterskipass für die Smuggler’s Notch, damit ich mit ihnen Ski fahren gehen kann. Rei und ich waren zwei dieser unbeliebten kleinen Kamikaze-Kinder, die ohne Stöcke fahren und die zivilisierten Skifahrer als Hindernisse auf ihrer eigenen Slalomstrecke benutzen. Auf den Pisten, die wir mittlerweile fahren, gibt es fast keine anderen Skifahrer. Rei gleitet den Hang hinab wie fließende Lava. Aber ich sause herab wie ein Blitz, meine Knie und Hüften sind dafür gemacht, über jeden Buckel zu springen. Skifahren ist fast, wie sich astral zu projizieren – nur mit einem Körper. Die Geschwindigkeit und die Höhe fühlen sich an wie meine zweite Natur. Es sind nicht so viele Menschen um einen herum wie in einer Turnhalle und der Himmel ist unendlich weit. Ich kann alles ausblenden, bis auf die Schwerkraft und die Furche, die ich zwischen den Toren in den Schnee grabe. Noch ein Rennen und ich wäre in die Endausscheidung gekommen. Aber Rei war im Männerteam auf dem vierten Platz und ich wollte nicht ohne Rei zur Endausscheidung fahren. Rei weiß nicht, dass ich das letzte Rennen absichtlich habe sausen lassen. Taylor hat absolut keine Ahnung und ignoriert auch diese Frage.
»Bist du nicht die einzige Augenzeugin, die gesehen hat, wie Seth Murphy Taylor in den Wasserfall geschubst hat?«, fragtCori Schneider. Alle drehen sich zu mir. Ah, jetzt bin ich plötzlich interessant. Taylor nickt heftig.
Freundschaft ist eine seltsame Sache. All die Jahre haben diese Mädchen mich ignoriert. Aber sie akzeptieren die neue, verbesserte Anna Rogan in ihrem Kreis, solange sie interessanten Klatsch und Tratsch erzählen kann. Hier ist die einzige Augenzeugin für das schrecklichste Verbrechen, das je in Byers passiert ist. Das ist ein ziemlich guter Aufhänger. Vienna rückt auf ihrem Stuhl zur Seite, sodass Taylor sich hinsetzen kann.
Zwanzig Minuten später kommt die Mädchengruppe aus dem Leichenschauhaus. Rei stößt sich vom Geländer ab und läuft hinter Taylor her.
»Anna. Bist du so weit?«
Sie dreht sich zu ihm um. »Cori fährt mich nach Hause.«
»Was?« Es ist völlig verständlich, dass er verwirrt ist. Schließlich war er im Zen-Modus, während Taylor sich mit ihren alten Freundinnen unterhalten hat.
»Entspann dich, Rei. Ich bin eine großartige Fahrerin.« Cori grinst. »Du solltest mal mit mir mitfahren.«
»Danke. Schon okay.« Rei steckt eine Hand in die Tasche und zieht seinen Autoschlüssel heraus. »Dann sehe ich dich wohl später.«
Die Gruppe um Taylor kichert. Alle finden Rei süß und denken, dass Rei und ich ein Paar sind. Schließlich waren wir schon immer zusammen. Aber die Mädchen wollen anzügliche Details.
Taylor zwinkert und lächelt anzüglich. Darauf folgt noch mehr Gekicher.
Rei geht schnell zum SUV seiner Eltern, dabei schlägt er mitdem Schlüssel klimpernd gegen seine Hüfte. Bevor er ins Auto einsteigt, ruft er meine Mum an und erklärt ihr die Änderung im Fahrplan. Im Auto schließt er die Augen und reibt einen Punkt auf seiner Stirn. Ich sauge Energie aus dem Universum auf und werde sichtbar. Aber er bemerkt mich nicht mal. Ich berühre seine Stirn und versorge ihn mit Energie.
Er öffnet die Augen und sieht mich an.
»Hi.« Seine Stimme ist dünn. Er schließt die Augen wieder und lehnt seinen Kopf gegen die Stütze. »Das war wirklich furchtbar.«
Ich schwebe über dem Sitz und sehe ihm hilflos dabei zu, wie er vor sich hin brütet.
»Okay«, sagt er, ohne seine Augen zu öffnen, »so sieht es also aus: Wir wissen, dass Taylor einen persönlichen Rachefeldzug gegen Seth führt und sie bereit ist, einen Meineid zu leisten, damit Seth für den Mord an ihr verurteilt wird.«
Das stimmt nicht so ganz. Sie lässt
mich
den Meineid begehen. Aber ohne den Computer habe ich keine Stimme, also lasse ich Rei weiterreden.
»Sie hat Kontakt mit ihren Eltern hergestellt«, fährt Rei fort. »Deine Mum scheint sie zu mögen und heute Abend hat sie ihre alten Freundinnen wieder um sich versammelt. Sie will nicht mit mir befreundet sein, wenn ich nicht mit ihr ausgehe. Aber das will ich nicht. Irgendwie
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