Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Rücken versteckt. Jetzt erhebt sich mein Vater wankend. Als er in die Küche späht, hält er sich an der Armlehne des Sessels fest.
»Was has du da in da Han?« Unter dem fluoreszierenden Küchenlicht hat seine Haut die Farbe einer überreifen Banane und seine Nase sieht aus wie eine Erdbeere. Das Blond in seinem Haar ist verblichen und ausgedünnt, sodass es wie eine feine Schicht schmieriger Schimmel aussieht.
Er wankt zu Taylor und sieht sie prüfend an. Wann hat er mich das letzte Mal wirklich angesehen? Als ich geboren wurde? Als ich ein Kleinkind war? Bevor er mich gegen die Küchentheke gestoßen hat? Er hat mich so lange ignoriert. Jetzt habe ich endlich seine Aufmerksamkeit, und es bricht mir das Herz, dass er Taylor vor sich hat und nicht mich.
»Du kanns das nich haben.« Sein Kiefer hängt schlaff herunter und er atmet flach.
»Gib her.« Er will ihren Arm packen, doch seine Faust greift nur in die Luft.
Taylor und die Flasche drücken sich gegen den Schrank, so als würde sie hoffen, dass die Wand nachgibt und sie fliehen kann. Trübes Blau umgibt sie. Bisher war mein Vater nicht mehr als ein passives, bemitleidenswertes Objekt, das in einemStuhl lebt. Noch nie zuvor hat Taylor ihn in aufrechter Position gesehen. In ihrem offenen Mund formt sich ein Schrei.
Lauf!
, rufe ich ihr lautlos zu.
LAUF!
Ich weiß, dass er sie nicht jagen wird. Er kann sie gar nicht jagen. Aber sie steht vollkommen paralysiert vor ihm.
»Ich hab gsagt, gib her!« Er versucht noch einmal, ihren Arm zu packen, der die Flasche hält. Aber er verliert das Gleichgewicht, wankt gegen die Küchentheke und fällt auf die Knie. Er versucht sich an dem glatten Stoff ihres Morgenmantels hochzuziehen.
Die Flasche kommt viel zu schnell auf ihn zu und die Reflexe meines Vaters sind viel zu langsam. Ein schriller Schrei vermischt sich mit dem Geräusch von berstendem Glas. Es ertönt ein unterdrücktes Aufjaulen und ein dumpfer Aufprall, als mein Vater auf dem Boden landet. Der beißende Geruch von Alkohol füllt den Raum und Blut läuft in langen, roten Bahnen aus dem Kopf meines Vaters und sammelt sich in einer dunklen Pfütze. Taylor und ich rennen wie der Blitz aus der Küche.
Ich bin schneller.
Rei sitzt immer noch an seiner Arbeit, als ich gegen den Stuhl pralle und hektisch zu tippen beginne.
Ruf 911: Taylor hat auf dem Kopf von meinem Vater eine Flasche zerschlagen. Er blutet stark.
Rei flucht leise. Dann greift er zum Telefon und beginnt verschiedene Knöpfe zu pressen. Währenddessen klingelt unten jemand Sturm an der Tür. Robert kommt aus dem Schlafzimmer und öffnet. Taylor weint und brabbelt irgendetwas Unverständliches. Hinter ihr auf der Auffahrt sind rote Spuren,die vom Weg bis zur Terrasse führen. Als Yumi meine Stimme hört, kommt sie mit wehendem Bademantel aus dem Schlafzimmer gerannt.
»Anna? Was ist passiert?« Sie legt einen Arm um Taylor, windet den abgebrochenen Flaschenhals aus ihrer Hand und gibt ihn mit einem vielsagenden Blick Robert.
Rei kommt oben aus seiner Schlafzimmertür. Der Aufruhr hat Saya geweckt. Rei schlingt den Arm um sie, als sie aus ihrem Zimmer stapft und ihre Augen mit der Faust rubbelt. Er flüstert ihr etwas zu und hebt sie hoch. Als er sie in ihr Zimmer zurückträgt und über ihren Rücken streichelt, klammert sie sich an ihn wie ein kleines müdes Äffchen.
Yumi führt Taylor zur Couch. »Anna, mein Schatz, dein Fuß blutet. Ich sehe mir das mal an. Robert, hol mir bitte Papiertücher und den Erste-Hilfe-Kasten.«
Ich flitze zu meinem Haus zurück und finde meinen Vater zusammengekrümmt und stöhnend auf dem Boden. Es ist schwer zu sagen, wie viel Blut er verloren hat, denn es vermischt sich mit dem Whiskey. Es tropft immer noch aus einer tiefen gezackten Wunde, über seine Stirn, die Brauen und gefährlich nahe an seinem Auge entlang.
In der Ferne erklingt das Geheul einer Sirene, dann wird das Wohnzimmer von rotem und weißem Licht erhellt. Taylor hat bei ihrer überstürzten Flucht die Tür weit offen gelassen. Die warme Nachtluft weht in das Haus und ein paar Moskitos schweben herein. Wie ein Schatten erscheint Rei in der Tür, als die Sanitäter gerade meinen Vater auf eine Bahre heben. Er folgt ihnen nach draußen und sieht zu, wie sie die Bahre in den Krankenwagen heben. Er spricht kurz mit einem derSanitäter, bevor sie die Tür des Wagens zuknallen und aus der Einfahrt brausen. Die Sirenen heulen noch einmal auf und das Blaulicht erhellt die Nacht und entfernt
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