Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
sich wieder. Dann ist alles wieder ruhig.
Als sie wieder weg sind, folge ich Rei ins Haus. Alles fühlt sich stickig und schwer an, aber es liegt nicht an der feuchten Nachtluft. Es liegt an meinem Vater und Taylor und dem Drama von heute Nacht. Die negative Stimmung hat alles Positive verschlungen und nur eine düstere Atmosphäre hinterlassen. Umgeben von so viel negativer Energie, schaffe ich es nicht, mich sichtbar zu machen. Rei kann nicht spüren, dass ich da bin, nicht einmal, wenn ich seine Hand berühre. Er sieht sich die Unordnung in der Küche an – zerbrochenes Glas liegt herum, vermischt mit Blut und Alkohol. Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass er nach Hause gehen und das Durcheinander nicht beachten soll, aber er würde sowieso nicht auf mich hören. Er hebt die größeren Glassplitter auf und wirft sie in die Mülltonne, die bei der Hintertür steht. Dann entfernt er die Lache am Boden. Dafür braucht er fast eine ganze Rolle Küchenpapier. In der Garage findet er einen Eimer. Mit schnellen und methodischen Bewegungen wischt er den Boden und hinterlässt dabei einen verräterischen Chlorgeruch. Es riecht, als ob jemand versucht hätte, etwas zu entfernen, das jeden normalen Reiniger überfordert.
Zu Hause bei Rei trägt Taylor ein Hello-Kitty-Pflaster auf ihrer Fußsohle. Auf einem blutigen Papiertuch liegt ein Glassplitter auf dem Beistelltisch. Sie hat sich in der Couchecke zu einem Ball zusammengerollt und weint. Robert ist ins Bett zurückgegangen, aber Yumi sitzt neben ihr und versucht vergeblichherauszufinden, was passiert ist. Rei kommt zögerlich zur Tür herein und schaltet das Licht über dem Küchentisch aus. Dann dreht er einen Stuhl herum und setzt sich verkehrt herum darauf. Seine Arme liegen auf der Lehne und er schaut in Richtung Couch.
»Ist Steve in Ordnung?«, fragt Yumi sofort.
»Ich weiß nicht«, antwortet Rei wahrheitsgemäß. »Er hat eine Menge Blut verloren. Sie bringen ihn ins Burlington Memorial Krankenhaus.«
»Sie will mir nichts erzählen.« Yumi tätschelt Taylors Schulter und steht auf. »Anna, mein Schatz, Rei ist jetzt hier. Warum erzählst du ihm nicht, was passiert ist. In der Zwischenzeit rufe ich deine Mutter an.«
Taylor schnieft nur und rollt sich zu einem noch kleineren Bündel zusammen.
Sobald Yumi außer Hörweite ist, setzt sich Rei neben Taylor auf die Couch. »Bist du in Ordnung?«
»Als würde dich das interessieren!«, murmelt sie.
»Es interessiert mich.« Er senkt seine Stimme. »Dass ich nicht will, dass du mir die Hose ausziehst, heißt noch lange nicht, dass ich mir keine Sorgen um dich mache.«
»Du willst SIE doch nur zurück.«
»Es ist ihr Körper; natürlich will ich, dass sie ihn zurückbekommt. Aber das bedeutet nicht, dass es mich nicht kümmert, was mit dir geschieht.«
Taylor sieht mit verweinten Augen nach oben. »Wenn ich ihren Körper verlasse, bin ich tot und sie auch. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich keine Ahnung habe, wie ich hier herauskommen kann.«
»Vielleicht kann ich dir ja helfen.«
»Wie willst du mir bitte helfen?«
»Ich weiß nicht, aber wenn du mitmachst, kann ich mir etwas einfallen lassen.«
Sie atmet tief und zitternd ein. »Ich habe eine andere Idee.«
»Was für eine?«
»Ich bleibe, wo ich bin, und du gibst mir noch eine Chance.«
»Was für eine Chance?«, fragt Rei argwöhnisch.
»Eine Chance, es … es noch einmal zu versuchen.« Sie streckt sich ein kleines Stück und dreht sich zu Rei. Die Blautöne, die sie umgeben, lichten sich ein wenig. »Du hast gesagt, dass Seth und ich nichts gemeinsam hatten. Aber du und ich, wir haben etwas gemeinsam. Wir wissen beide, wie es sich anfühlt, wenn Eltern einen unter Druck setzen. Wenn sie sich nur um Noten kümmern und darum, was sich auf einer Unibewerbung gut machen könnte. Ihnen ist es egal, was wir alles aufgeben müssen.« Sie wischt sich mit dem Ärmel ihres Morgenmantels eine Träne weg. »Ich weiß, dass deine Mutter dich wahnsinnig fordert, Rei. Die Schüler hören, wie sie im Laden über dich redet. Jeder weiß, an welchen Unis du dich bewirbst und welches Hauptfach du belegen wirst.«
Nicht jeder. Mir hat Rei nicht gesagt, wo er aufs College gehen will. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass er es selber weiß.
»Dieser Sarg war nur noch eine Formalität.« Taylor lehnt sich näher zu ihm. »Meine Eltern haben mich schon vor langer Zeit in eine Kiste gesteckt. Ich sollte nach Yale gehen, mit der Bestnote abschließen und
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