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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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sich neben den Koffer und drehte ihn ganz allmählich um, bis die Antenne genau nach Süden zeigte. Das Gerät begann sofort zu winseln. »Hören Sie? Sie hat mit dem Vogel Kontakt aufgenommen.« Er drückte auf einen Schalter, und das Winseln hörte auf. »So, und nun stöpseln wir den Hörer ein – so. Wir wählen null-vier für die Bodenstation bei Eik in Norwegen – so. Und nun wählen wir die Nummer. Ganz einfach das Ganze.«
    Er erhob sich und streckte Kelso den Hörer entgegen, der ihn vorsichtig ans Ohr hielt. Er konnte hören, wie in Amerika ein Telefon läutete, und dann sagte ein Mann:
    »Nachrichtenzentrale.«
    Kelso zündete sich noch eine Zigarette an und wanderte vom Toyota fort. O’Brian saß mit eingeschalteter Innenbeleuchtung auf dem Fahrersitz, und selbst bei geschlossenem Fenster war in der kalten Stille seine Stimme deutlich zu hören.
    »Ja, ja, wir sind unterwegs… ungefähr die halbe Strecke, nehme ich an… Ja, er ist bei mir… Nein, es geht ihm gut.« Die Tür wurde geöffnet, und O’Brian rief: »Es geht Ihnen doch gut, Professor, oder etwa nicht?«
    Kelso hob eine Hand.
    »Ja«, fuhr O’Brian fort, »es geht ihm gut.« Die Tür wurde zugeschlagen, und er mußte die Stimme gesenkt haben, weil Kelso nun nicht mehr viel hören konnte. »Werden gegen neun dort sein… klar… tolle Sache… sieht gut aus.«
    Worum es sich auch handeln mochte, was Kelso gehört hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er kehrte zum Wagen zurück und riß die Tür auf.
    »Hoppla. Ich muß jetzt Schluß machen, Joe. Bis später.« O’Brian legte rasch den Hörer auf und zwinkerte Kelso zu.
    »Was genau haben Sie denen erzählt?«
    »Nichts.« Der Reporter sah aus wie ein schuldbewußter Junge.
    »Was soll das heißen, nichts?«
    »Hören Sie, Fluke, ich mußte sie informieren. Ihnen sagen, was Sache ist…«
    »Was Sache ist?« Jetzt wurde Kelso laut. »Wir hatten abgemacht, daß das vertraulich…«
    »Die werden es bestimmt nicht weitersagen. Schließlich kann ich nicht einfach losfahren, ohne Bescheid zu sagen, was ich vorhabe.«
    »Verdammt.« Kelso lehnte sich an die Seite des Toyota und warf einen flehenden Blick gen Himmel. »Worauf habe ich mich da eingelassen?«
    »Möchten Sie auch jemanden anrufen, Fluke?« O’Brian streckte ihm den Hörer entgegen. »Ihre Frau? Auf unsere Kosten?«
    »Nein, es gibt niemanden, den ich im Augenblick anrufen möchte. Vielen Dank.«
    »Sinaida?« sagte O’Brian verschmitzt. »Wie wär’s, wenn Sie Sinaida anrufen würden?« Er stieg aus und drückte Kelso das Telefon in die Hand. »Nun machen Sie schon. Ich sehe Ihnen an, daß Sie sich Sorgen machen. Es ist ein Kinderspiel. Nullvier, dann die Nummer. Aber sehen Sie zu, daß Sie nicht die ganze Nacht mit ihr reden. Hier ist es so kalt, daß einem die Eier abfrieren.«
    Er wanderte davon und schlug die Arme um sich, um die Kälte zu vertreiben. Nach kurzem Zögern suchte Kelso in seinen Taschen nach dem Zettel mit ihrer Adresse.
    Während er darauf wartete, daß die Verbindung zustande kam, versuchte er, sich ihre Wohnung vorzustellen, aber es gelang ihm nicht, dazu wußte er nicht genug über sie. Er schaute in Richtung Süden auf die M8 und die schattenhaften Massen der ziehenden Wolken, die davonjagten, als flüchteten sie vor irgendeinem Unheil, und er stellte sich die Route vor, die sein Anruf nahm – aus der Mitte von Nirgendwo zu einem Satelliten über dem Indischen Ozean, hinunter nach Skandinavien, über die Erde nach Moskau. O’Brian hatte recht: Man konnte mitten in der Wildnis stehen und trotzdem das Gefühl haben, daß die Welt so klein war, daß man sie in der Hand halten konnte.
    Er ließ es lange Zeit läuten, wünschte sich, daß sie sich melden würde, damit er wußte, daß es ihr gutging, und hoffte gleichzeitig, daß sie es nicht tun würde, weil sie in ihrer Wohnung am wenigsten sicher war.
    Sie meldete sich nicht, und nach einer Weile legte er auf.
    Und dann war Kelso mit Fahren an der Reihe, während O’Brian schlafen sollte, und selbst da wollte der Reporter keine Ruhe geben. Er hatte den Schlafsack ans Kinn hochgezogen. Die Sitzlehne war fast bis in die Horizontale zurückgekippt. »Yeah«, murmelte er, und dann, gleich darauf und mit größerem Nachdruck: »Yeah.« Er grunzte. Er rollte sich zusammen und zappelte wie ein gestrandeter Fisch hin und her. Er schnarchte. Er kratzte sich an den Leisten.
    Kelso umklammerte das Lenkrad. »Können Sie nicht endlich still sein, O’Brian?«

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