Aurora
näherte sich dem Wagen, und indem er weit ausschritt, um seine Füße in die Abdrücke des größeren Mannes zu setzen, konnte er O’Brians Bewegungen genau nachvollziehen: so und so… und… so…
Kelso blieb stehen und versuchte, mit ausgestreckten Armen das Gleichgewicht zu halten. Der Amerikaner war eindeutig bis hierher gekommen, war am Heck des Toyota gewesen, hatte den metallenen Kamerakoffer herausgeholt – er konnte sehen, daß er fehlte –, und danach sah es so aus, als hätte ihn etwas abgelenkt, denn anstatt sich auf den Rückweg zu den Häusern zu machen, verliefen seine Abdrücke im rechten Winkel von dem Wagen fort, direkt in den Wald hinein.
Er rief O’Brians Namen, zuerst leise, aber dann legte er in einem Anflug von Panik die Hände an den Mund und brüllte den Namen heraus, so laut er konnte.
Wieder dieser seltsam erstickende Effekt, als verschluckten die Bäume seine Worte.
Vorsichtig bewegte er sich in das Unterholz hinein.
Oh, er hatte Wälder schon immer gehaßt. Sogar die Wälder in der Umgebung von Oxford mit ihren malerischen Balken aus staubigem Sonnenlicht und ihrem Moosteppich und der Art und Weise, auf die Lebewesen plötzlich aufflogen oder davonraschelten! Und Zweigen, die einem ins Gesicht schlugen… Tut mir leid, tut mir leid… O ja, er gab einem weit offenen Gelände jederzeit den Vorzug. Einem Berg. Einer Klippe. Dem glitzernden Meer!
»R. J.?« Etwas Dämlicheres konnte man kaum rufen, aber er rief es trotzdem, jetzt noch lauter. »R. J.!«
Hier waren keine Fußabdrücke zu erkennen. Das Gelände war zerklüftet. Er konnte die Fäulnis eines Sumpfes in der Nähe riechen, die wie der Atem eines Hundes stank, und außerdem war es hier dunkel. Er würde aufpassen müssen, dachte er, daß sein Rücken ständig der Straße zugewendet war, denn wenn er sich zu weit vorwagte, würde er sich verirren und sich vielleicht immer weiter von dem Wagen entfernen, und dann blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als sich in der Dunkelheit hinzulegen und zu erfrieren.
Plötzlich krachte etwas links neben ihm zu Boden, und dann folgte eine Reihe von kleineren Geräuschen wie Echos. Anfangs hörte es sich an, als ob jemand davonrannte, aber dann begriff er, daß es nur Schnee war, der sich von ein paar Ästen gelöst hatte und auf die Erde gefallen war.
Er legte abermals die Hände an den Mund.
»R. J…!«
Und dann hörte er ein menschliches Geräusch. War es ein Stöhnen? Ein Schluchzen?
Er versuchte herauszufinden, wo es herkam. Und dann hörte er es wieder. Näher, und anscheinend hinter ihm. Er zwängte sich durch die Lücke zwischen zwei dicht beieinanderstehenden Bäumen und gelangte auf eine winzige Lichtung, und da lag O’Brians Kamerakoffer offen auf dem Boden, und da, gleich daneben, war O’Brian selbst, kopfunter und leicht schaukelnd, mit einem schmutzigen Stück Seil so an seinem linken Bein aufgehängt, daß seine Fingerspitzen gerade noch den Schnee berührten.
26. Kapitel
Das Seil war am oberen Ende einer hohen, jungen Birke befestigt, die sich unter O’Brians Gewicht stark gebogen hatte. Der Reporter stöhnte. Er war fast bewußtlos.
Kelso kniete neben O’Brians Kopf nieder. Als dieser ihn sah, begann er schwach zu zappeln, aber er schien nicht imstande, einen Satz zu bilden.
»Alles in Ordnung«, sagte Kelso. Er versuchte, den Eindruck von Gelassenheit zu erwecken. »Keine Angst. Ich hole Sie herunter.«
Ihn herunterholen. Kelso zog seine Handschuhe aus. Ihn herunterholen. Richtig. Aber womit? Er hatte ein Federmesser zum Anspitzen von Bleistiften, aber das war im Wagen. Er klopfte seine Taschen ab und fand sein Feuerzeug. Er ließ es aufschnappen und zeigte O’Brian die Flamme.
»Wir bekommen Sie herunter. Hiermit. Es wird alles wieder gut.«
Er stand auf, streckte die Arme aus und ergriff O’Brians Knöchel. Die Seilschlinge hatte tief in das Stiefelleder eingeschnitten. Kelso mußte sein ganzes Gewicht einsetzen, um den Amerikaner so weit herunterziehen zu können, daß er die Flamme an das straffe Seil direkt über dessen Sohle heranbringen konnte. O’Brians Schultern ruhten jetzt im Schnee.
»Ihamseen«, sagte er. »Ihamseen.«
Das Seil war naß. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Feuerzeug irgendeine Wirkung tat. Kelso mußte absetzen und es schütteln. Die Flamme färbte sich blau und verlöschte, noch bevor die ersten Stränge zu glimmen begannen. Aber dann reichte der Zug aus, sie schnell zerreißen zu lassen. Die letzten
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