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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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zerbarsten, der Baum peitschte zurück, und Kelso versuchte, mit seiner freien Hand Hilfestellung zu leisten, aber er schaffte es nicht, und O’Brians Körper plumpste schwer in den Schnee.
    Der Reporter versuchte sich aufzusetzen, schaffte es, sich auf die Ellenbogen zu stützen, dann kippte er wieder um. Er murmelte immer noch etwas vor sich hin. Kelso kniete sich neben ihn.
    »Alles in Ordnung. Wird schon wieder. Wir bringen Sie hier heraus.«
    »Ihamseen.« Ihamseen?
    Ich habe ihn gesehen.
    »Wen haben Sie gesehen?«
    »Verdammte Scheiße.«
    »Können Sie Ihr Bein bewegen? Ist es gebrochen?« Kelso rutschte auf den Knien durch den Schnee und machte sich daran, mit den Fingernägeln den in O’Brians Stiefel eingebetteten Knoten der Schlinge zu lösen.
    »Fluke…« O’Brian hob die Arme, bewegte hilfesuchend die Finger. »Helfen Sie mir hoch, bitte.«
    Kelso ergriff die Hand und zog, bis O’Brian aufrecht saß. Dann legte er den Arm um den breiten Brustkorb des Reporters, und mit Kelsos Hilfe schaffte er es, auf die Beine zu kommen. O’Brian stand, lehnte sich schwer an Kelso, legte sein ganzes Gewicht aufs rechte Bein.
    »Können Sie laufen?«
    »Weiß nicht. Glaube schon.« Er humpelte ein paar Schritte.
    »Lassen Sie mir eine Minute Zeit.«
    Er blieb, wo er war, wendete Kelso den Rücken zu und starrte in die Bäume. Als er wieder gleichmäßiger zu atmen schien, sagte Kelso: »Wen haben Sie gesehen?«
    »Ihn habe ich gesehen«, sagte O’Brian und drehte sich um. Seine Augen guckten jetzt verstört und voller Angst und suchten den Wald hinter Kelsos Kopf ab. »Habe den Mann gesehen. Habe gesehen, wie er mich in der Nähe des Wagens durch die verdammten Bäume hindurch anstarrte. Ich wäre beinahe aus den Latschen gekippt.«
    »Wen meinen Sie? Welchen Mann?«
    »Hab einen Schritt auf ihn zu gemacht – mit erhobenen Händen, lassen Sie uns Freunde sein! Weißer Mann kommt in Frieden – und schwapp! war er fort. Ich meine, er verschwand einfach. Danach habe ich ihn nicht mehr richtig gesehen. Aber gehört habe ich ihn, und einmal habe ich einen flüchtigen Blick auf ihn erhascht – er bewegte sich rasch durch den Wald vor uns, nach rechts –, eine Art abgesägte Gestalt, breit wie ein Quarterback und ein bißchen kurz geraten. Aber flink. So flink, daß Sie es nicht glauben würden. Mann, er schien sich zu bewegen wie ein Affe. Und ehe ich recht wußte, wie mir geschieht, stand die Welt auf dem Kopf. Er hat mich fortgelockt, Fluke, das ist Ihnen doch klar? Hat mich direkt in diese verdammte Falle gelockt. Und jetzt ist er vermutlich irgendwo da draußen und beobachtet uns.«
    Er schien wieder zu Kräften zu kommen; die Angst ließ ihn sich offenbar schnell erholen.
    Er humpelte ein paar Schritte. Als er versuchte, das Gewicht auf den linken Fuß zu verlagern, stöhnte er auf. Aber er konnte laufen, das war wenigstens etwas. Das Bein war eindeutig nicht gebrochen.
    »Wir müssen los. Wir müssen von hier fort.« Er bückte sich unbeholfen und klappte die Verschlüsse des Kamerakoffers zu.
    Kelso brauchte nicht überredet zu werden. Aber sie würden langsam gehen müssen. Sie mußten überlegen. Schon jetzt waren sie in zwei von seinen Fallen geraten – die eine auf der Piste, die andere hier –, und Gott allein wußte, wie viele noch auf sie lauerten. In diesem Schnee waren sie verdammt schwer zu erkennen.
    »Vielleicht«, sagte Kelso, »sollten wir meinen Fußabdrücken folgen…«
    Aber die Spuren begannen schon jetzt unter dem endlosen Flockengeriesel zu verschwinden.
    »Wer ist er, Fluke?« flüsterte O’Brian, als sie sich auf den Rückweg zwischen den Bäumen hindurch machten. »Ich meine, was ist er? Vor wem hat er so eine gottverdammte Angst?«
    Er ist seines Vaters Sohn, dachte Kelso. Er ist ein fünfundvierzig Jahre alter paranoider Psychopath, wenn es so etwas gibt.
    »O Mann«, sagte O’Brian. »Was war das denn?« Kelso blieb stehen.
    Diesmal war es keine weitere Schneelawine von den Bäumen, soviel war sicher. Dafür dauerte es zu lange. Ein schweres, lang anhaltendes Rascheln, irgendwo vor ihnen.
    »Das ist er«, sagte O’Brian. »Er bewegt sich wieder. Er versucht, uns in die Irre zu führen.« Das Rascheln hörte plötzlich auf, und sie standen da und lauschten. »Und was macht er jetzt?«
    »Beobachtet uns vermutlich.«
    Wieder versuchte Kelso, in der Düsternis etwas zu erkennen, aber es war hoffnungslos. Dichtes Unterholz, großflächige Schatten, gelegentlich von

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