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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Rückweg durch die Bäume machte, war O’Brian gerade dabei, die Antenne über den Fluß hinweg auszurichten, und Kelso war noch nicht weit gekommen, als er hinter sich das beglückende anschwellende Geräusch hörte, das ihm sagte, daß das Inmarsat mit dem Satelliten Verbindung aufnahm.
    Der Schneepflug preschte jetzt richtig voran, mit dreißig, vierzig Stundenkilometern, stürmte die Straße entlang und warf dabei eine große, weiße Bugwelle aus gefrierender Gischt auf, die er in die Bäume zu beiden Seiten schleuderte. Kretow fuhr.
    Seine Männer saßen mit schußbereiten Gewehren dichtgedrängt neben ihm. Suworin klammerte sich an die Metallverankerung des Klappsitzes im hinteren Teil der Kabine; der Lauf der RP-46 bohrte sich in seinen Oberschenkel, und ihm war schlecht von dem Gerüttel und den Dieseldünsten. Er dachte über die Verwicklungen nach, die sein Leben in einer so kurzen Zeitspanne umgekrempelt hatten, und erinnerte sich an das alte russische Sprichwort: »Wir werden auf einem offenen Feld geboren und sterben in einem dunklen Wald.«
    Er hatte massenhaft Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, denn keiner der drei anderen Männer hatte ein Wort zu ihm gesagt, seit sie den Flugplatz verlassen hatten. Sie boten sich gegenseitig Kaugummi und TU-144-Zigaretten an und redeten so leise, daß er unter dem Dröhnen des Motors nicht hören konnte, was sie sagten. Ein miteinander vertrautes Trio, dachte er; ganz offensichtlich eine Partnerschaft, die länger zurückreichte. Wo war wohl ihr letzter Einsatz gewesen? Vielleicht in Grosny, wo sie den tschetschenischen Rebellen Moskaus Frieden gebracht hatten? (»Dabei fanden sämtliche Terroristen an Ort und Stelle den Tod…«) Sollte das der Fall sein, dann würde dies hier für sie der reinste Urlaub sein. Ein Picknick im Walde. Und wer erteilte ihnen ihre Befehle?
    Raten Sie mal. Arsenjew machte wohl Witze.
    Es war heiß in der Kabine. Der Scheibenwischer fegte die Pfotenabdrücke des Schnees in einem einschläfernden Rhythmus beiseite.
    Er versuchte, sein Bein außer Reichweite des Maschinengewehrs zu bringen.
    Serafima hatte ihm schon seit Monaten in den Ohren gelegen, er solle aus dem Dienst ausscheiden, um ein bißchen Geld zu verdienen – ihr Vater kannte einen Mann im Vorstand eines großen, privatisierten Energie-Unternehmens, und, drücken wir es so aus, mein lieber Felix, die Leute – wie soll man sagen – schulden uns ein paar Gefallen. Und was würde das einbringen, Herr Papa? Das Zehnfache seines offiziellen Gehalts und ein Zehntel der Arbeit? Zum Teufel mit Jassenewo. Vielleicht war es ja an der Zeit.
    Eine dumpfe Männerstimme drang aus dem Funkgerät. Suworin beugte sich vor. Er konnte nicht genau verstehen, was gesagt wurde. Es hörte sich an wie Koordinaten. Kretow hielt das Mikrophon in der einen Hand und steuerte mit der anderen, reckte den Hals, um die Karte zu Studieren, die der Mann neben ihm auf den Knien ausgebreitet hatte, und behielt gleichzeitig die Straße im Auge. »Natürlich. Kein Problem.« Er hängte das Mikrophon wieder ein.
    »Was war das?« sagte Suworin.
    »Ach«, sagte Kretow mit gespielter Überraschung, »Sie sind auch noch da? Haben Sie das, Alexej?« Das galt dem Mann mit der Karte, dann wandte er sich wieder Suworin zu: »Das war der Lauschposten in Onega. Sie haben gerade eine Satelliten-Übertragung abgefangen.«
    »Fünfundzwanzig Kilometer, Major. Das ist direkt am Fluß.«
    »Sehen Sie?« sagte Kretow und grinste Suworin im Rückspiegel an. »Was habe ich Ihnen gesagt? Am Abend sind wir wieder zu Hause.«

29. Kapitel
    Kelso kam aus dem Wald heraus und ging auf die Holzhütte zu. Der Schnee war an der Oberfläche zu einer dünnen Kruste gefroren, und der Wind hatte etwas zugenommen, ließ kleine Pulverwirbel über die Lichtung tanzen und zerrte an dem dünnen braunen Rauchfaden, der aus dem eisernen Schornstein kam.
    »Wenn man sich ihm nähert, dann muß man das offen tun.» Das war der Rat der Bedienerin Waletschka. »Er haßt es, wenn Leute sich an ihn anschleichen. Wenn man an eine Tür klopfen muß, sollte man es laut tun… «
    Kelso tat sein Bestes, um mit den Gummistiefeln auf den Holzstufen laut aufzutreten, und hämmerte dann mit der behandschuhten Hand gegen die Tür. Es kam keine Antwort.
    Was nun?
    Er klopfte noch einmal, wartete, dann hob er den Riegel an und stieß die Tür auf, und sofort stieg ihm der inzwischen vertraute Geruch – kalt, dumpf, animalisch, mit schalem Pfeifenrauch

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