Aurora
eine Gruppe von Fischern ihre gesamte Kraft zusammen, ermutigt die Kollegen und stellt sich dem Sturm kühn entgegen. ›Nur Mut, Freunde, laßt das Ruder keine Sekunde los, zerteilt die Wellen, wir schaffen es!‹ Aber da gibt es auch einen anderen Typ von Fischern – diejenigen, die, wenn sie einen Sturm befürchten, den Mut verlieren, zu winseln beginnen und ihre eigenen Kollegen demoralisieren: ›Was für ein Unglück, ein Sturm zieht auf, legt euch hin, flach auf den Boden des Bootes, macht die Augen zu; wir können nur hoffen, daß wir irgendwie ans Ufer kommen.‹«
Der Russe spuckte auf den Boden.
»Tschischikow hat ihn noch am gleichen Abend in den dunklen Teil des Waldes mitgenommen, und am Morgen war ein Kreuz da, und das war das Ende von Golub und das Ende rechtsabweichlerischen Geblöks – sogar seine Witwe, die alte Schachtel, getraute sich danach nicht mehr, den Mund aufzumachen. Und in den nächsten paar Jahren ging die stetige Arbeit weiter, geprägt von unseren vier Parolen: der Parole Kampf gegen Defätismus und Selbstgefälligkeit, der Parole Bemühen um Autarkie, der Parole Konstruktive Selbstkritik ist das Fundament unserer Partei und der Parole Aus Feuer wird Stahl! Und dann begann die Sabotage.«
»Ah«, sagte Kelso. »Die Sabotage. Natürlich.«
»Es fing an mit der Vergiftung der Störe. Das war kurz nach dem Prozeß gegen die ausländischen Spione. Es war im Spätsommer. Wir kamen eines Morgens heraus, und da sahen wir sie – weiße Bäuche, die im Fluß trieben. Und immer wieder stellten wir fest, daß die Köder aus den Fallen verschwunden waren und trotzdem kein Tier darin saß. Die Pilze waren verschrumpelt und nicht zu gebrauchen – wir haben das ganze Jahr nicht einmal ein Pud geerntet –, und auch das war noch nie zuvor passiert. Sogar die Beeren auf dem Zwei-Werst-Weg waren verschwunden, bevor wir sie ernten konnten. Ich sprach vertraulich mit dem Genossen Tschischikow über diese Krise – inzwischen war ich älter geworden, Sie verstehen, und konnte mit Hand anlegen –, und wir kamen beide zum gleichen Schluß: daß dies ein klassischer Ausbruch von trotzkistischer Vernichtungswut war. Und als Jeschow mit einer Taschenlampe ertappt wurde – nach der Sperrstunde draußen unterwegs, das Schwein –, war die Sache klar. Und das«, er hielt einen dicken Packen mit kaum leserlichem Gekritzel hoch und hieb ihn auf den Tisch, »das ist sein Geständnis – hier, mit eigener Hand geschrieben –, wie er seine Anweisungen durch Lichtsignale von irgendwelchen Mitverschwörern erhalten hat, mit denen er beim Angeln Kontakt aufgenommen hatte.«
»Und Jeschow?«
»Seine Witwe hat sich erhängt. Sie hatten ein Kind.« Er wendete den Blick ab. »Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Jetzt sind sie natürlich alle tot. Sogar Tschischikow.«
Wieder Schweigen. Kelso war zumute wie Scheherazade: Solange er ihn am Reden halten konnte, bestand noch Hoffnung.
Der Tod lag im Schweigen.
»Genosse Tschischikow«, sagte er. »Er muß ein…«, beinahe hätte er gesagt: »ein Monster«, »…ein beachtlicher Mann gewesen sein.«
»Ein Stoßarbeiter«, sagte der Russe, »ein wahrer Stachanow, ein Soldat und ein Jäger, ein Experte in allen Parteifragen und ein Theoretiker höchsten Kalibers.« Seine Augen waren fast geschlossen. Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Oh, und er hat mich geschlagen, Genosse. Er hat mich geschlagen und immer weiter geschlagen, bis ich Blut geweint habe! Dabei befolgte er Instruktionen hinsichtlich meiner Erziehung, die er von den höchsten Organen erhalten hatte: ›Sie verabreichen ihm von Zeit zu Zeit eine ordentliche Tracht Prügel!‹ Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin.«
»Wann ist Genosse Tschischikow gestorben?«
»Im vorletzten Winter. Da war er schon gebrechlich und halb blind. Er geriet in eine seiner eigenen Fallen. Die Wunde wurde brandig. Sein Bein wurde schwarz und stank wie madiges Fleisch. Dann kam das Delirium. Er tobte. Schließlich bat er uns, ihn über Nacht draußen zu lassen, im Schnee. Ein Hundetod.«
»Und seine Frau… sie ist kurz nach ihm gestorben?«
»Eine Woche später.«
»Sie muß für Sie wie eine Mutter gewesen sein.«
»Das war sie. Aber sie war alt. Sie konnte nicht mehr arbeiten. Es ist mir schwergefallen – aber es war zu ihrem Besten.«
»Er hat nie ein menschliches Wesen geliebt«, berichtete sein Schulfreund Iremaschwili. »Er war außerstande, Mitleid für einen Menschen oder ein Tier zu
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