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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ihn musterte. Er wendete desinteressiert den Blick ab. Runzelte die Stirn. Schaute abermals hinaus.
    Er steckte die Zeitschrift wieder in den Ständer und kehrte zu der Glaswand zurück. Sie war es tatsächlich, stand ganz für sich allein da, in Jeans und einer pelzgefütterten Lederjacke. Sein Atem ließ das kalte Glas beschlagen. Warten Sie, formulierte sein Mund. Sie starrte ihn verständnislos an. Er zeigte auf ihre Füße. Bleiben Sie, im Sie sind.
    Um zu ihr zu gelangen, mußte er sich von ihr fortbewegen und auf der Suche nach einem Ausgang an der Glaswand entlanggehen. Die erste Tür war mit einer Kette verschlossen. Die zweite ließ sich öffnen. Er trat hinaus in die Kälte und Nässe. Sie war ungefähr fünfzig Meter von ihm entfernt. Er schaute zurück in das von Menschen wimmelnde Terminal – die anderen waren nicht zu sehen –, dann sah er sie an. Sie bewegte sich jetzt von ihm fort, überquerte eine Fußgängerkreuzung, ohne sich um die Autos zu kümmern. Er zögerte – was sollte er tun? Ein vorbeifahrender Bus entzog sie vorübergehend seinem Blick, und das entschied die Sache für ihn. Er ergriff sein Gepäck und folgte ihr im Laufschritt. Sie lockte ihn weiter, wobei sie immer denselben Abstand beibehielt, bis sie den großen Parkplatz erreicht hatten. Dort verlor er sie aus den Augen.
    Graues Licht, Schnee und gefrorener Matsch. Hier war der Benzingestank wesentlich stärker. Unzählige Reihen von kastenförmigen Wagen, einige schneebedeckt, andere mit einem dünnen Film aus Schmutz und Schlamm. Er ging weiter. Die Luft erbebte. Ein großer alter Tupolew-Jet brauste direkt über seinen Kopf, so tief, daß er die Rostlinien sehen konnte, wo die Rumpfplatten zusammengeschweißt worden waren. Er zog unwillkürlich den Kopf ein, und im gleichen Moment kam ein sandfarbener Lada langsam vom Ende der Reihe her angefahren und blieb dann mit laufendem Motor stehen.
    Sie macht es ihm nicht leicht, sogar jetzt noch nicht. Sie fuhr nicht einmal zu der Stelle hin, wo er stand; er mußte zu ihr gehen. Sie öffnete ihm nicht die Tür; er mußte es selbst tun. Sie sagte kein Wort; es blieb ihm überlassen, das Schweigen zu brechen. Sie nannte ihm nicht einmal ihren Namen – jedenfalls da noch nicht, aber später fand er ihn heraus. Sie hieß Sinaida. Sinaida Rapawa.
    Sie wußte, was passiert war, das war ihrem angespannten Gesicht deutlich abzulesen, und er verspürte, wenn auch schuldbewußt, Erleichterung, weil er es ihr nicht zu sagen brauchte. Wenn es darum ging, jemandem eine schlechte Nachricht beizubringen, war er schon immer ein Feigling gewesen – das war einer der Gründe dafür, daß er dreimal verheiratet gewesen war. Er ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und legte den Koffer auf den Schoß. Die Heizung lief. Die Scheibenwischer strichen ab und an über die schmutzige Windschutzscheibe. Er wußte, daß er bald etwas sagen mußte. Der Delta-Flug nach New York war der einzige Tagesordnungspunkt des Symposiums, den er nicht zu versäumen gedachte.
    »Sagen Sie mir, was ich tun kann, um Ihnen zu helfen.«
    »Wer hat ihn umgebracht?«
    »Ein Mann namens Wladimir Mamantow. Ein ehemaliger KGB-Mann. Er kannte Ihren Vater noch aus der alten Zeit.«
    »Die alte Zeit«, sagte sie bitter.
    »Woher wußten Sie, wo Sie mich finden würden?«
    »Immer, mein ganzes Leben lang, heißt es: die alte Zeit.« Wieder dröhnte eine Tupolew über sie hinweg.
    »Hören Sie«, sagte er. »Ich muß gleich zurück. Ich muß ein Flugzeug nach New York erreichen. Wenn ich dort bin, werde ich alles aufschreiben – hören Sie mir überhaupt zu? Ich werde Ihnen eine Kopie schicken. Sagen Sie mir, wohin ich sie schicken soll. Falls Sie irgend etwas brauchen sollten – ich werde Ihnen helfen.«
    Mit seinem Koffer auf dem Schoß konnte er sich kaum bewegen. Er knöpfte den Mantel auf und tastete ungeschickt nach seinem Federhalter in der Innentasche. Sie hörte ihm anscheinend wirklich nicht zu. Sie starrte geradeaus und führte praktisch ein Selbstgespräch.
    »Ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Weshalb hätte ich ihn auch besuchen sollen? Ich war seit acht Jahren nicht mehr in der Nähe dieser Bruchbude, bis Sie wollten, daß ich Sie hinbringe.« Sie wendete ihm zum ersten Mal das Gesicht zu. Sie hatte sich abgeschminkt. Sie sah jünger aus, hübscher. Ihre braune Lederjacke war alt, der Reißverschluß bis zum Hals hinauf geschlossen. »Nachdem ich Sie abgesetzt hatte, bin ich nach Hause gefahren. Dann bin ich

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