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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Zoll, vor den Ticketschaltern, vor den Sicherheitsschranken der Abfertigungsschalter, vor der Paßkontrolle. Kaum hatte man eine hinter sich, stand man vor der nächsten. Die Halle war dunkel und höhlenartig, stank nach Flugbenzin und leicht säuerlich nach Angstschweiß. Adelman, Duberstein, Byrd, Saunders und Kelso standen zusammen mit zwei Amerikanern, die im Mir gewohnt hatten – Pete Maddox von Princeton und Vobster aus Chicago –, in einer Gruppe am Ende einer Schlange, während Olga verschwand, um zu sehen, ob sie die Prozedur irgendwie beschleunigen konnte.
    Nach ein paar Minuten hatten sie sich immer noch nicht weiterbewegt. Kelso schenkte Adelman keine Beachtung, der auf seinem Koffer saß und übertrieben konzentriert in einer Tschechow-Biographie las. Saunders seufzte und schwenkte frustriert die Arme. Maddox wanderte davon, dann kam er zurück und berichtete, daß der Zoll offenbar jedes Gepäckstück öffnete.
    »Scheiße, und ich habe eine Ikone gekauft«, sagte Duberstein.
    »Ich weiß, ich hätte nie eine Ikone kaufen dürfen. Die bekomme ich nie durch.«
    »Wo haben Sie sie gekauft?«
    »In der großen Buchhandlung am Nowy Arbat.«
    »Geben Sie sie Olga. Die wird sie durchbringen. Wieviel haben Sie bezahlt?«
    »Fünfhundert Dollar.«
    »Fünfhundert?«
    Kelso fiel ein, daß er kein Geld mehr hatte. Am Ende des Terminals war ein Zeitungsstand. Er brauchte Zigaretten. Wenn er im Flugzeug einen Rauchersitz verlangte, bestand die Chance, sich von den anderen absondern zu können.
    »Phil«, sagte er zu Duberstein, »könnten Sie mir vielleicht zehn Dollar leihen?«
    Duberstein mußte lachen. »Was wollen Sie damit, Fluke? Stalins Notizbuch kaufen?«
    Saunders kicherte. Velma Byrd hob die Hand vor den Mund und schaute woanders hin.
    »Sie haben auch denen alles erzählt?« Kelso sah Adelman fassungslos an.
    »Und warum hätte ich das nicht tun sollen?« Adelman leckte einen Finger an und blätterte eine Seite um, ohne aufzuschauen.
    »Ist es etwa ein Geheimnis?«
    »Wissen Sie was?« sagte Duberstein und zog seine Brieftasche. »Hier sind zwanzig. Kaufen Sie auch eines für mich.«
    Darüber lachten jetzt alle unverhohlen und beobachteten Kelso, um zu sehen, was er tun würde. Er nahm das Geld.
    »Also gut, Phil«, sagte er gelassen. »Ich will Ihnen etwas sagen. Treffen wir ein Abkommen. Wenn Stalins Notizbuch bis Ende des Jahres auftaucht, dann behalte ich dieses Geld, und wir sind quitt. Aber wenn es das nicht tut, zahle ich Ihnen tausend Dollar zurück.«
    Maddox stieß einen leisen Pfiff aus.
    »Fünfzig zu eins«, sagte Duberstein und schluckte. »Sie bieten mir fünfzig zu eins?«
    »Abgemacht?«
    »Worauf Sie sich verlassen können.« Duberstein lachte abermals, jetzt aber ein bißchen nervös. Er ließ den Blick über die anderen wandern. »Haben das alle gehört?«
    Und ob sie es gehört hatten. Sie starrten Kelso an. Und das war für ihn in diesem Moment tausend Dollar wert schon wegen der Art, wie sie ihn anstarrten: mit offenen Mündern, verblüfft, fassungslos. Sogar Adelman hatte vorübergehend sein Buch vergessen.
    »Die leichtesten zwanzig Dollar, die ich je verdient habe«, sagte Kelso. Er steckte den Schein in die Tasche und griff sich seinen Koffer. »Seid so gut und haltet einen Platz für mich frei.«
    Er bahnte sich seinen Weg durch das von Menschen wimmelnde Terminal, um schnell zu verschwinden, solange er noch Oberwasser hatte, und drängte sich zwischen Wartenden und Stapeln von Gepäck hindurch. Er empfand eine kindische Freude. Ein paar flüchtige Siege hier und dort – was konnte ein Mensch in seinem Leben mehr erhoffen?
    Über den Lautsprecher verkündete eine Frau mit ohrenbetäubender blecherner Stimme den Abflug einer Aeroflot-Maschine nach Delhi.
    Am Zeitungsstand schaute Kelso rasch nach, ob sie die Taschenbuchausgabe seines Buches dahatten. Sie hatten es nicht da. Natürlich nicht. Er wendete seine Aufmerksamkeit einem Zeitschriftenständer zu. Time und Newsweek von der letzten Woche und die neueste Ausgabe des Spiegel. Er würde den Spiegel nehmen. Der würde ihm guttun und bestimmt für einen elfstündigen Flug ausreichen. Er griff in die Tasche, um Dubersteins zwanzig Dollar herauszuholen, und drehte sich zur Kasse um. Durch die Glaswand hindurch konnte er die nasse Betonstraße sehen, eine dichtgedrängte Reihe von Privatwagen, Taxis und Bussen, graue Gebäude, stehengelassene Gepäckwagen, eine Frau mit kurzgeschnittenem dunklem Haar, ein weißes Gesicht, das

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