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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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während sie den Reißverschluß ihrer Jacke hochzog, »sollten lieber auf sich selbst aufpassen.«
    Es war kurz nach vier. Leute fingen an, sich auf den Heimweg von der Arbeit zu machen. In den Büros auf der anderen Straßenseite konnte Kelso das grüne Leuchten von Computer-Monitoren sehen. Eine Frau stand in einem Hauseingang und sprach in ein Handy. Ein Motorradfahrer fuhr langsam vorbei.
    »Sinaida, hören Sie mir zu.« Er ergriff ihren Arm, um sie am Davonlaufen zu hindern. Sie wollte ihn nicht ansehen. Er zog sie dicht an die Hauswand heran. »Ihr Vater hatte einen schlimmen Tod, verstehen Sie, was ich damit sagen will? Die Leute, die das getan haben – Mamantow und seine Helfershelfer –, sie sind hinter diesem Notizbuch her. Die wissen, daß es irgendwie wichtig ist – fragen Sie mich nicht, woher. Wenn sie herausfinden, daß Ihr Vater eine Tochter hatte – und sie werden es herausfinden, weil Mamantow Zugang zu seiner Akte hatte… Denken Sie einmal darüber nach! Sie werden hinter Ihnen her sein.«
    »Und wegen dem Ding haben sie ihn umgebracht?«
    »Sie haben ihn umgebracht, weil er ihnen nicht sagen wollte, wo es war. Und er wollte es ihnen nicht sagen, weil er wollte, daß Sie es bekommen.«
    »Aber dafür lohnte es sich doch nicht zu sterben. Dieser dumme alte Esel.« Sie starrte ihn an. Zum ersten Mal an diesem Tag hatte sie feuchte Augen. »Dieser dumme, dickköpfige alte Esel.«
    »Gibt es jemanden, bei dem Sie bleiben können? Familienangehörige?«
    »Meine Familienangehörigen sind alle tot.«
    »Eine Freundin vielleicht?«
    »Eine Freundin? Ich habe das hier, schon vergessen?« Sie hob die Klappe ihrer Tasche an und zeigte ihm die Pistole ihres Vaters.
    »Geben Sie mir wenigstens Ihre Adresse, Sinaida Rapawa«, sagte Kelso so gelassen, wie er nur konnte. »Ihre Telefonnummer…«
    Sie musterte ihn argwöhnisch. »Warum?«
    »Weil ich mich verantwortlich fühle.« Er schaute sich um. Das war Wahnsinn, dieses Reden auf der Straße. Er suchte in der Tasche nach einem Stift, konnte kein Papier finden, riß eine Seite von einer Zigarettenschachtel ab. »Los, schreiben Sie es mir auf. Schnell.«
    Er dachte erst, sie würde es nicht tun. Würde weggehen. Doch dann drehte sie sich plötzlich noch einmal um und kritzelte etwas auf das Papier. Er sah, daß sie eine Wohnung in der Nähe des Ismailowo-Parks hatte, wo der große Flohmarkt war.
    Sie sagte nicht Lebewohl. Sie machte sich auf den Weg, wich den Fußgängern aus, ging sehr rasch. Er schaute ihr nach, wartete ab, ob sie vielleicht zurückschauen würde. Aber natürlich tat sie das nicht. Er hatte gewußt, daß sie es nicht tun würde. Sie gehörte nicht zu denen, die zurückschauen.

Teil zwei
 
Archangelsk
    »Wer sich vor Wölfen fürchtet,
sollte nicht in den Wald gehen.«
    J. W. Stalin , 1936

16. Kapitel
    Bevor sie Moskau verlassen konnten, mußten sie sich Treibstoff beschaffen – weil, wie O’Brian sagte, man nie wußte, was für eine verwässerte Pferdepisse einem die Leute zu verkaufen versuchten, sobald man aus der Stadt heraus war. Also machten sie bei der neuen Nefto Agip am Mira Prospekt halt, und O’Brian füllte den Tank des Geländewagens und außerdem vier große Kanister mit insgesamt hundertsechzig Litern bleifreiem Superbenzin. Dann kontrollierte er Reifendruck und Ölstand. Als sie schließlich wieder losfuhren, steckten sie mitten im Berufsverkehr.
    Sie brauchten fast eine Stunde, um den Außenring zu erreichen, aber dort war wenigstens der Verkehr flüssiger, die monotonen Wohnblocks und Fabrikschlote verschwanden, und plötzlich waren sie draußen und frei – auf dem flachen, offenen Land mit seinen graugrünen Feldern und hohen Strommasten und einem riesigen Himmel. Es war mehr als zehn Jahre her, seit Kelso auf der M8 nach Norden gefahren war. Dorfkirchen, die seit der Revolution als Getreidespeicher benutzt worden waren, wurden restauriert und waren von einem Gespinst aus Holzgerüsten umgeben. In der Nähe von Dworiki fing eine goldene Kuppel das schwache Licht des Spätnachmittags ein und leuchtete am Horizont wie ein Herbstfeuer.
    O’Brian war in seinem Element. »Unterwegs«, sagte er von Zeit zu Zeit, »und aus der Stadt heraus – ist das nicht grandios?« Er behielt ein gleichmäßiges Tempo von 110 Stundenkilometern bei und redete unaufhörlich. Eine Hand lag auf dem Lenkrad, mit der anderen klopfte er im Takt zu einer Kassette mit bummernder Rockmusik.
    »Einfach grandios…«
    Die Mappe lag, in

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