Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
entlocken, wäre
genauso erfolglos, als versuchte man den Fürsten der Finsternis mit Weihwasser
aus der Hölle zu locken. Stets müsse man einem Festgenommenen Alternativen
bieten, Nischen, in die er sich ohne großen Gesichtsverlust zurückziehen könne.
Es war ein frischer Morgen, fünf Uhr in der
Früh. Hanson stand am Fenster und schaute von der zweiundzwanzigsten Etage der
Charité in die Nacht. Er sah die beleuchtete Glaskuppel des Reichstages. Sie
erschien ihm wie ein Leuchtfeuer bei der verzweifelten Suche nach einer solchen
Rückzugsnische für Schukow. Zweifellos ist der Oberst intelligent und sicher
nur Theoretiker was den Umgang mit der deutschen Polizei betrifft. Und die
Finessen, mit der das deutsche Strafrecht ausgewalzt werden konnte, dürften ihm
fremd sein. In Hansons Kopf begann ein Plan zu reifen, langsam und schemenhaft
zwar noch. Aber immerhin hatten seine Gedanken eine Richtung gefunden und
eingeschlagen, die vielversprechend war. Instinktiv wusste Hanson, die
Loyalität des Obersten zu seinem ehemaligen Geheimdienst musste erst auf
tönerne Füße gestellt und dann, ja dann musste sie unterminiert werden, wollte
er den Oberst aus dem KGB-Dunstkreis zerren. Ihn vom Saulus zum Paulus werden
zu lassen, war bei der Schwere seiner Taten nicht möglich. Ein solcher Versuch
wäre mehr als lächerlich. Und ihm das Stigma eines Verbrechers aufzudrücken
wäre kontraproduktiv. Niemals würde er das große Warum entschleiern helfen. Es
sei denn..., ja, es sei denn, man würde den Ball über mehrere Banden spielen,
hätte fundierte Argumente zu seinem eigenen Wohl und könnte ihm einen Deal vorschlagen,
den abzulehnen er sich nicht leisten konnte. Wie aber sollte man die Kugel
spielen?
Die Schmerzen in Hansons Brust ließen nach, sie
waren mittlerweile auszuhalten. Zuinnerst aber breitete sich eine Unruhe aus.
Mit weiträumigen Schritten durchmaß er aufgewühlt sein Krankenzimmer. Seine
Gedanken rissen ihn in viele Richtungen, wobei eine Erinnerung zögernd alles
andere ins Abseits drängte.
Die Festnahme in der Bar des Amberas sollte
blitzsauber über die Bühne gehen und wurde zu einem Desaster. Sie wiederholte
sich ständig vor seinem geistigen Auge. Er konnte sich mit jeder Wiederholung
besser und genauer an jede Phase dieses Verhängnisses erinnern, das böse hätte
enden können. Mit etwas weniger Glück wäre ihm die Aorta zerrissen worden mit
tödlichen Folgen. Dennoch, der große Supergau war es trotz allem nicht. Denn je
öfter sich die Szene in seinem Kopf wiederholte, desto klarer zeichnete sich
ein Königsweg ab, wie sich der Oberst knacken ließ. Der Schuss aus seinem
Derringer war nicht bewusst und gewollt abgefeuert worden. Immer deutlicher
erkannte Hanson, dass nur er allein dafür verantwortlich war. Es war eine
absichtslose Reaktion des Obersten, die dem Fauststoß in das Sonnengeflecht
seines Widersachers folgte. Das stand für Hanson nun fest, das ist die
Wahrheit.
Brächte Hanson seine Beurteilung der
Geschehnisse diesbezüglich auf’s Tapet, würde jedes Gericht nur auf
fahrlässige Körperverletzung mit einer Höchststrafe von drei Jahren Haft
erkennen. Drei Jahre Haft waren aber gegen einen Oberst des ehemaligen
sowjetischen Geheimdienstes keine wirkungsvolle Trumpfkarte. Drei Jahre würde
der auf einer halben Arschbacke absitzen.
Andererseits wusste Hanson, dass Wahrheit und
Gewissenhaftigkeit immer zu einem Problem werden, wenn übergeordnete Interessen
auf dem Spiel stehen. Keine Frage, das große Warum war von einem übergeordneten
Interesse, das mit der Wahrheit nicht gelöst werden konnte. Hanson wusste und
musste zugeben, dass sich der Schuss aus Schukows Derringer unabsichtlich
löste. Dieses zuzugeben, wäre auf der Suche nach dem Warum kontraproduktiv.
Nein, diese Tatsache würde er nicht offenbaren, er würde die Wahrheit
verschweigen oder verbiegen, vielleicht ein wenig anders justieren, wie es viel
zu häufig in dieser Republik geschieht. Nur dann ließe sich dem Oberst der
objektive Straftatbestand des versuchten Mordes mit einer Strafandrohung einer
lebenslangen Haft unterstellen.
Er blieb wieder vor dem Fenster stehen und
schaute grüblerisch auf die Glaskuppel des Reichstages und spann seine Gedanken
weiter, formte sie aus.
Unter dem Damoklesschwert Gefahr zu laufen,
lebenslange Haft für einen versuchten Mord zu kassieren, oder andererseits für
die Erklärung des Warums nur wegen Körperverletzung für höchstens drei Jahre
einzufahren, war ein
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