Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
...“
„Solange Sie ein schriftliches Protokoll
verweigern, werden wir auf diese Beweise nicht verzichten können Herr Oberst“.
Kapitel 46
Kiel, Polizeipräsidium, Mittwoch, 31.05.1995,
10.15 Uhr
Schukows Verlegung von Berlin in die Kieler
Haftanstalt vollzog sich ohne Probleme schnell und reibungslos. Die
Überstellung erfolgte ohne Zwischenstation in einem Rutsch und dauerte nur
sieben Stunden. Alle beteiligten Justizorgane waren übereingekommen, ein
Sammelverfahren gegen Schukow in Kiel durchzuziehen. Es hatte Mühe gekostet,
die Berliner Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen, auch den versuchten Mord
an Hanson in Kiel anzuklagen. Sowohl die subjektiven als auch die objektiven
Tatbestandsmerkmale des Mordparagraphen waren erfüllt, wofür es genügend Zeugen
gab. Die Kieler Staatsanwaltschaft glaubte, mit der Mordanklage gegen Schukow
ein leichtes Spiel zu haben.
Die in Berlin agierenden Kräfte der
Mordkommission waren wieder mit ihren Kollegen in Kiel vereint. In kongenialer
Zusammenarbeit führten Haller und Pelka die Kommission, offiziell jedenfalls.
Darauf hatte Wolff bestanden. Im Hintergrund aber hielt Hanson die Zügel, wie
eh und je. Er war froh, dass er noch in Berlin mit Schukow den Pakt geschlossen
und alle notwendigen Vorbereitungen getroffen hatte.
Wie Hanson es auch drehte und wendete, er
wusste, er würde mit diesem Drahtseilakt den Rubikon überschreiten, würde eine
Beweismittelunterschlagung begehen. Es ist nicht immer leicht, an die Folgen
des eigenen Handelns zu denken und dumm, sie nicht ins Kalkül einzubeziehen.
Stürzte er, war es eine gewaltige Fallhöhe. Ob Wolff ihn auffangen würde,
wusste er nicht. Definitiv wusste Hanson aber, Wolff höchstselbst würde ihm den
Arsch flambieren, erführe er von dieser heiklen Transaktion. Keiner durfte von
dieser bevorstehenden Undercover-Aktion wissen, auch vor seinen engsten
Mitarbeitern sollte es geheim bleiben, vorerst jedenfalls. Dieses
Dienstvergehen würde die Grenze der Banalität sicher sprengen. Da Hanson nun
mal Hanson war, interessierte es ihn nicht. Auch diesen schweren Sturm, der
folgte, wüsste jemand davon, würde er abreiten, wie alle dienstlichen
Turbulenzen der Vergangenheit. Er wollte deswegen nicht kapitulieren. Vor dem
Kontext aller ermittelten Fakten, ein eventuelles Disziplinarverfahren zu
fürchten angesichts der Kenntnisnahme der Aurora-Protokolle, kam ihm nicht in
den Sinn. Wie formulierte es Napoleon? Ach ja, Mut ist die moralische
Befähigung, das Notwendige couragiert zu tun. Und die Protokolle waren für den
Erfolg der Ermittlungen mehr als notwendig. Vielleicht offenbarten sie ja eine
Zielrichtung, ein Motiv für die Ermordung des Staatssekretärs. Ja, Hanson war
sich sicher, das große Warum würde ein bisschen weniger rätselhaft erscheinen.
Schlichtweg war das der einzige Grund, warum Hanson mit dem Oberst diesen Deal
einzugehen bereit war. Wie unmoralisch ist es, die Wahrheit zu verleugnen, sie
nicht in Erfahrung bringen zu wollen, nur weil ein Dienststrafverfahren drohen
könnte? Nein, die Wahrheit, das Warum, musste ans Licht. Hanson dünkte sich im
Recht, in einem übergeordneten, universellen Recht, jetzt mehr denn je.
Intuitiv hatte er sich vor einigen Tagen richtig
entschieden, die Safeschlüssel aus Schukows Anzugssaum nicht in die
Beweismittelliste aufnehmen zu lassen. Erst gestern hatte Schukow ihm das
Codewort der beiden Schließfächer verraten, nachdem ihm Hanson gestattete,
seine Frau in Moskau anzurufen. Das Gespräch hatte Hanson mit seinem
Diktiergerät mitgeschnitten. Nachdenklich hielt Hanson nun sein Handy in den
Händen und ließ sich aus dem Handyspeicher die Moskauer Telefonnummer auf dem
Display anzeigen. Es war die gleiche Nummer mit der der Dolmetscher, Semskews,
telefoniert hatte. Ihm musste Hanson die Aufzeichnung vorspielen, wollte er
wissen, was Schukow mit seiner Frau en détail besprochen hatte. Hallers
schulrussisch reichte mittlerweile nicht mehr für eine fehlerfreie Übersetzung
des aufgezeichneten Telefonats. Er war aber sicher, mehrfach die Worte Aurora
und Protokolle gehört zu haben.
Für die Fahrt zu Semskews Wohnung benutzte Hanson
seinen Privatwagen. Die Innenstadt war wieder einmal dicht. Die Kieler Rushhour
war noch schlimmer als befürchtet. Er hasste den Kieler Verkehr und verfluchte
die Stadt, verkehrstechnisch betrachtet. Nach dem Tode von Hellen war er
nächtelang durch die Kieler Kneipen gezogen, hatte versucht seinen Schmerz mit
Alkohol zu
Weitere Kostenlose Bücher