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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Rasenfläche, die an einen der Teiche grenzte und von den anderen Servomaten nicht einzusehen war. Der
    Teich war kreisrund und hatte einen Springbrunnen in der Milte.
    Die Maschine kam lautlos näher, nur das Knirschen der
    Steinchen unter ihren Rädern war zu hören. Thalia wagte kaum zu atmen, sie war überzeugt, dass die Maschine langsamer werden oder anhalten würde. Sie würde das Loch
    sehen, dachte sie; sie würde sie finden und Verstärkung rufen. Aber die Maschine blieb nicht stehen, auch nicht, als sie den Ausschnitt in der Hecke erreichte. Thalia wagte nicht zu atmen, bis das Knirschen mit den Hintergrundgeräuschen - dem Plätschern des Springbrunnens, den fernen Stimmen der zusammengetriebenen Menge und der endlos
    wiederholten Ansprache, mit der Gendarm Lucas Thesiger
    die Bevölkerung zu beruhigen suchte - verschmolzen war.
    Als sie endlich sicher sein konnte, dass der Servomat
    nicht zurückkehren würde, streckte sie den Kopf über den oberen Rand der Hecke. Andere Servomaten waren nicht in der Nähe, zumindest keine, die groß genug gewesen wären, um sie sehen zu können. Die orangefarbene Maschine wendete jetzt und fuhr im rechten Winkel von der Hecke weg, durch die sich Thalia den Weg freigeschnitten hatte, schlug aber keinen Kurs ein, auf dem sie sich weiter entfernen würde. Thalia schaute an der Hecke entlang, auf die der Koloss jetzt zufuhr, und entdeckte am anderen Ende eine Öffnung, die ihr beim ersten Mal entgangen war. Wenn der
    Servomat diese Stelle erreichte und dann auf sie zuhielt, hätte sie keinen Sichtschutz mehr. Thalia verstaute die Hundepeitsche. Dann kroch sie durch das Loch zurück, das sie geschnitten hatte, und stützte sich mit den Händen ab. Die spitzen Kiesel bohrten sich schmerzhaft in ihre Handflä-
    chen. Auf der anderen Seite angekommen, stemmte sie sich hoch, blieb aber in der Hocke. Wieder erstarrte sie. Der orangefarbene Servomat fuhr bis zum Ende der Hecke und
    bog dann auf den Rasen um den Teich ein. Es war richtig gewesen, durch die Hecke zu flüchten. Selbst wenn die Maschine nur eine rudimentäre Optik hatte, sie wäre nicht zu übersehen gewesen.
    Ihr Instinkt riet ihr zu verschwinden, solange die Ma-
    schine noch beschäftigt war, aber sie zwang sich, die Stellung zu halten. Sie hatte in der Abfallschaufel des Servomaten etwas liegen sehen, was nicht dorthin gehörte.
    Die Maschine rollte an den Rand des Teiches. Die Schau-
    fel wurde auf blitzenden Kolben angehoben. Der Schaufel-kasten neigte sich nach unten. Das Ding, das Thalia darin hatte liegen sehen, glitt ins Wasser. Es war ein Körper, ein toter Mann im braunen Overall eines Parkaufsehers. Als der Leichnam - er war so schlaff, dass der Tod erst vor kurzem eingetreten sein konnte - in den Teich fiel, sah Thalia eine blutige Schramme, die sich unter den zerschnittenen Kleidern quer über seine Brust zog. Dann ging er unter. Ein Ellbogen ragte noch kurz aus dem Wasser, dann war er ver-
    schwunden. Der Springbrunnen wirbelte weißen Schaum
    auf, der den Leichnam vollends verbarg.
    Zitternd löste Thalia die Hundepeitsche wieder vom Gür-
    tel. Sie hatte der aufgezeichneten Ansprache von Lucas

Thesiger, falls es jemanden dieses Namens überhaupt gab, nicht glauben wollen. Aber bis zu diesem Moment war sie zumindest davon ausgegangen, dass die Servomaten von
    irgendeinem Katastrophenprotokoll gesteuert wurden. Vielleicht war die Wahrheit so bestürzend, dass man nicht
    wagte, sie der Bürgerschaft zu enthüllen, um keine Panik auszulösen.
    Aber selbst in einem Ausnahmezustand bestattete man
    keine Leichen in öffentlichen Teichen.
    »Ursprünglich waren wir hundert«, sagte Clepsydra. »In
    diesem Raum schliefen wir während der interstellaren Flüge oder ruhten zumindest körperlich. Die meisten von uns
    sind noch am Leben und über Neuralverbindungen an die
    Exordium-Maschine angeschlossen.«
    »Wo ist sie?«, fragte Dreyfus.
    »Irgendwo im Schiff.«
    »Können Sie sie mir zeigen?«
    »Das könnte ich, aber dann müsste ich Sie töten.«
    Er wusste nicht, ob das ein Scherz sein sollte oder tödlicher Ernst.
    Insgesamt hatte sie ihm so wenig über die Techno-
    logie erzählt wie nur irgend möglich. Dreyfus wusste nur, dass Exordium eine Art Quantenperiskop war, das in ein
    trübes, nebelverhangenes Meer einander überlappender
    Zukunftszustände spähte. Die >retrokausale Wahrschein-lichkeitsfunktion<, wie Clepsydra sie nannte, wurde von künftigen Versionen derselben Träumer erzeugt, die weiter

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