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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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wäre es nicht schlecht, wenn einer von uns ...«
    Redon konnte den Satz nicht beenden. Nach der Wucht
    der Detonation, die sich durch Wände und Decken der Vo-
    tenprozessorkugel in Thalias Rücken übertrug, musste die Hundepeitsche nahezu ihre theoretische Sprengkraft erreicht haben. Die Waffe war neu gewesen, fiel ihr jetzt viel zu spät ein: Sie hatte sie erst vor zwei Wochen aus der Waffenkammer geholt. Sie hatte noch viel Restenergie enthalten, die nach Freiheit drängte.
    Thalia spürte, wie die Kugel schaukelte. Die Landschaft kippte und kehrte in ihre vorherige Stellung zurück. Die Sprengung war schnell vorüber gewesen: ein ohrenbetäubender Knall, danach ein Nachbeben von wenigen Sekun-
    den. Jetzt war alles wieder ruhig. Die Kugel lag still. Die Landschaft draußen lag still.
    »Es hat nicht geklappt«, sagte sie. »Wir bewegen uns nicht.
    Verdammt, es hat nicht geklappt.«
    »Abwarten«, sagte Caillebot ruhig.
    »Es hat nicht geklappt, Bürger. Wir treten auf der Stelle.
    Die Explosion war zu schwach. Ich habe versagt, ich habe unsere einzige Chance vertan.«

    »Abwarten«, wiederholte er.
    »Irgendetwas tut sich«, meldete sich Cuthbertson. »Ich
    kann es hören. Ein Ächzen wie von Metall, das unter starker Spannung steht. Hören Sie es nicht?«
    »Wir kippen«, sagte Redon. »Sehen Sie nur.«
    Thalia hob den Kopf und sah gerade noch, wie der weiße
    Ball des Votenprozessormodells über den Boden auf das gegenüberliegende Fenster zurollte.
    Von unten kam ein Schwirren, als wäre die angestaute Energie in einer überstreckten Strebe schlagartig mit verheerender Wucht freigesetzt worden. Dem ersten Schwirren folgte kurz darauf ein zweites und ein drittes, dann eine ganze Salve so dicht hintereinander, dass man nicht mehr zählen konnte.
    Der Boden kippte weiter. Thalia spürte, wie ihr Gewicht an der Stange zog, an der sie festgebunden war. Die Kugel musste bereits zehn bis fünfzehn Grad von der Horizon-talen abgewichen sein. Wieder war eine Serie von metallischen Lauten zu hören, ein Kreischen und Reißen, nicht
    wie von Bauteilen unter zerstörerischem Druck, sondern
    wie von gemarterten Tieren.
    Das Gefälle erreichte zwanzig Grad, der Boden senkte
    sich weiter.
    »Wir bekommen Übergewicht«, sagte sie. »Gleich ist es so weit.«
    Herumliegende Kleidungsstücke und Schutt schlitterten
    über den Boden und kamen an der gewölbten Außenwand
    zur Ruhe. Das Architekturmodell rutschte knirschend von der Abdeckung und zerbrach in tausend Stücke. Jetzt waren es schon mindestens dreißig Grad. Thalia spürte ein unangenehmes Kribbeln im Magen. Die Landschaft stand er-
    schreckend schief. Vor dem Fenster erschienen Teile des umliegenden Geländes, die bisher nicht zu sehen gewesen waren. Der Untergrund war plötzlich viel weiter weg, als sie es sich vorgestellt hatte. Fünfhundert Meter, das war ein tiefer Sturz. Sie erinnerte sich an Caillebots Reaktion, als sie den Plan umrissen hatte: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zu überleben wäre.
    Vielleicht hatte er recht gehabt.
    Es ging nun immer schneller abwärts. Vierzig Grad, dann fünfundvierzig. Thalias Arme fühlten sich an, als würden sie aus den Gelenken gerissen, aber bisher lag das nur an ihrem Körpergewicht. Wenn die Kugel erst rollte, würde es noch viel schlimmer werden. Fünfzig Grad. Vor den Fenstern kam der Fuß des Turms in Sicht. Ein kurzer Blick zeigte ihr, dass ihre Vermutung in Bezug auf die Kriegsmaschinen zutraf. Sie bedeckten den Sockel wie eine Schicht aus schwarzem Schimmel, die sich so weit über den Turm nach oben
    zog, wie sie sehen konnte. Sie mussten der Kugel schon sehr nahe gekommen sein.
    Thalia spürte einen Ruck. Die Kugel sackte mehrere Meter in die Tiefe, als wäre der obere Teil des Turmes unter der sich verschiebenden Last zerfallen oder eingebrochen. Dann kipp-ten sie vollends über die Kante, der Neigungswinkel überschritt die neunzig Grad und wurde stumpf, und schließ-
    lich rollten sie in rasendem Tempo die Turmwand hinab. Die Kugel erzitterte und machte einen Höllenlärm. Für eine Analyse der Situation oder auch nur für eine Schätzung der zu-rückgelegten Strecke blieb keine Zeit. Thalia konnte nur einen einzigen schlichten Gedanken fassen: Es klappt... bislang.
    Sie spürte, wie die Kräfte, die an ihrem Körper rissen, kurzzeitig stärker wurden, und schloss daraus, die Kugel hätte den Fuß des Turms erreicht und wechselte nun von
    der Vertikalen in die Horizontale. Sie versuchte, die Dauer

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