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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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jeder Umdrehung zu schätzen, in der Hoffnung, daraus die Entfernung ableiten und erkennen zu können, ob die Kugel langsamer wurde. Aber es war aussichtslos, sie konnte sich nicht konzentrieren.
    »Ich glaube«, hörte sie Caillebot zwischen Ächzen und
    Stöhnen rufen, »wir haben das Museumsgelände hinter uns gelassen.«

    »Wirklich?«, rief Thalia zurück, laut genug, um das entsetzliche Gepolter zu übertönen.
    »Wir rollen immer noch ziemlich schnell. Hoffentlich hüpfen wir nicht einfach über das Fensterband hinweg.«
    Diese Möglichkeit hatten weder Thalia noch Parnasse be-
    dacht. Sie hatten zwar angenommen, dass die Kugel genü-
    gend Schwung bekäme, um den Rand des Bandes zu er-
    reichen, aber sie hatten nie in Betracht gezogen, dass sie schnell genug werden könnte, um das Glas in kurzen Sprüngen zu überqueren, ohne es so weit zu belasten, dass es brach. Erst jetzt erkannte Thalia mit Schrecken, dass die Kugel womöglich vom Glas abprallen und erst dahinter auf festem Boden ausrollen würde.
    »Können Sie das Band schon sehen?«, fragte sie.
    »Ja«, rief Meriel Redon aus. »Ich denke schon. Aber etwas stimmt nicht.«
    »Sind wir zu schnell?«
    »Das nicht. Aber sollten wir nicht in einer geraden Linie rollen?«
    »Schon«, sagte Thalia. »Tun wir das denn nicht?«
    »Wir beschreiben eine Kurve. Ich kann das Fensterband
    sehen, aber es kommt schräg auf uns zu.«
    Thalia erschrak und war zunächst ratlos. Sie waren immer davon ausgegangen, dass die Kugel, wenn sie erst den Fuß des Turms erreicht hätte, mit nur geringen Abweichungen durch Hindernisse und Reibung geradeaus weiterrollen
    würde. Doch als sie sich jetzt auf die trudelnde Landschaft konzentrierte und nach der grauen Linie suchte, die den Rand des Fensterbandes markierte, sah sie, dass Redon
    recht hatte. Sie waren eindeutig vom Kurs abgekommen,
    der Winkel war viel zu spitz, um sich auf die Unebenheiten des Museumsgeländes zurückführen zu lassen.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte sie. »Wir haben das doch alles durchgespielt. Wir müssten geradeaus bis zum Fensterband rollen.«

    »Wir werden das Fensterband trotzdem treffen«, sagte
    Cuthbertson. Seine Stimme klang so erstickt, dass sie kaum zu erkennen war. »Sie haben nur die Coriolis-Kraft vergessen.«
    »Wir müssten uns auf einer geraden Linie bewegen«, be-
    harrte Thalia.
    »Das tun wir ja auch. Aber das Habitat rotiert und drängt uns auf eine schraubenförmige Bahn. Alles eine Sache des Bezugsrahmens, Präfekt.«
    »Coriolis-Kraft«, sagte Thalia. »Verdammt. Nach allem,
    was man mir in Panoplia beigebracht hat, vergesse ich die Coriolis-Kraft. Wir sind nicht auf einem Planeten. Wir befinden uns im Innern einer verdammten Röhre, die sich
    dreht.«
    Sie spürte, dass sich die Rollgeschwindigkeit verringerte.
    Die Landschaft purzelte nur noch halb so schnell vorbei wie zu Beginn der wilden Fahrt. Sie konnte jetzt Einzelheiten unterscheiden, Landmarken, die den Bürgern von Aubusson bereits aufgefallen waren.
    »Es ist weiter kein Problem«, sagte Cuthbertson begüti-
    gend. »Wir treffen nur einen anderen Bereich des Fensterbandes, als wir gedacht hatten.«
    »Wird sich dadurch etwas ändern?«, fragte sie.
    »Ich glaube nicht. Das Glas müsste dort ebenso leicht
    brechen wie überall sonst.«
    »Es geht nur noch um Sekunden«, sagte Meriel Redon.
    »Wir nähern uns dem Band. Alles bereit machen. Wenn
    wir auf den Randstreifen treffen, gibt es einen heftigen Schlag.«
    Thalia spreizte sich ein, so gut das möglich war. Schließ-
    lich war sie wie ein Opfertier gefesselt. Ein heftiger Schwindel erfasste sie, als die Kugel über den Rand des Gelände-streifens rollte und auf die riesige Glasfläche des Fensterbandes krachte. Auf der geometrisch perfekten Fläche wurde die Bewegung gespenstisch ruhig. Da außer dem Luftwiderstand wenig Reibung vorhanden war, blieb die Rollgeschwindigkeit mehr oder weniger konstant.
    »Brich«, flüsterte Thalia. »Bitte brich doch. Und bitte lass die Dichtungen halten, wenn es so weit ist.«
    Dreyfus klopfte an die Tür, bevor er den Taktikraum be-
    trat. Es empfahl sich, einigermaßen bescheiden aufzutreten. Dreyfus wusste, dass ihn sein Pangolin-Privileg in mancher Beziehung auf eine Stufe mit den Oberpräfekten stellte, aber er hielt es nicht für sinnvoll, gerade in diese offene Wunde Salz zu reiben.
    »Dreyfus«, sagte Baudry, die mitten in einem Gespräch
    mit den anderen gewesen war. »Sie kommen leider zu
    spät. Sie haben soeben

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