Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
nichts.«
    Thalia hatte die Hände im Schoß gefaltet und hielt den Zylinder zwischen den Knien. »Erzählen Sie mir, wie Aubusson davon profitiert.«
    »Wie jedermann weiß, zählt die Anlage jede Stimme im
    gesamten Glitzerband, die jemals abgegeben wurde«, be-
    gann Thory. »Das sind in jeder Sekunde mindestens eine
    Million Vorgänge, und das seit zweihundert Jahren. Nicht so allgemein bekannt ist freilich, dass sich das System gelegentlich seine eigenen Aufzeichnungen ansieht und Ab-
    stimmungsmuster zurückverfolgt, die zu einem bestimm-
    ten Ergebnis führten. Nehmen wir an, man hätte der
    Bevölkerung des gesamten Bandes, also allen hundert Millionen Bürgern, eine wichtige Frage zur Abstimmung vor-
    gelegt. Sagen wir, eine hypothetische Bedrohung wäre erkannt worden und man hätte mit einer ganzen Palette von verschiedenen Reaktionen reagieren können, von einem
    Präventivschlag bis zu der schlichten Alternative, gar nichts zu tun. Nehmen wir weiter an, die Mehrheit hätte eine von all diesen Möglichkeiten ausgewählt, man hätte auf dieser Basis gehandelt, und im Rückblick hätte sich die Entscheidung als falsch erwiesen. Die Anlage ist nicht nur intelligent genug, um solche demokratischen Fehler zu erkennen, sie kann auch aus den Aufzeichnungen ersehen, wer anders
    abgestimmt hatte. Wer, mit anderen Worten, recht gehabt hätte, während die Mehrheit falsch lag.«
    Thalia nickte. Das hatte sie zwar einmal gelernt, aber
    dann unter Kenntnissen vergraben, die unmittelbarer von Bedeutung für sie waren. »Nachdem die Anlage nun Stimm-berechtigte mit besonders gutem Urteilsvermögen ausfin-
    dig gemacht hat, weist sie ihnen bei allen künftigen Abstimmungen eine höhere Gewichtung zu.«
    »Theoretisch ist das richtig. In der Praxis ist es sehr viel feiner austariert. Das System überwacht diese Individuen auch weiter, um den Gewichtungsfaktor laufend den Gegebenheiten anzupassen. Wenn sie weiterhin scharfsichtig abstimmen, bleibt die Gewichtung erhalten oder wird sogar erhöht. Zeigen sie aber über längere Strecken ein schlechtes Urteilsvermögen, dann stuft sie das System auf den Standardwert zurück.«
    »Warum wird ihnen das Abstimmungsrecht nicht ganz
    entzogen, wenn sie so schlecht sind?«
    »Weil wir dann keine Demokratie mehr wären«, versetzte
    Thory. »Jeder muss die Chance bekommen, sich zu bessern.«
    »Und was bringt das alles für Aubusson?«
    »Es ist unsere Einkommensquelle. Die Zahl der Bürger
    mit hoch gewichteten Voten liegt hier weit über dem Durchschnitt des Glitzerbandes. Natürlich haben wir dafür alle hart gearbeitet: Es ist nicht nur eine statistische Schwan-kung. Ich habe einen Gewichtungsindex von eins Komma

    neun, das heißt, jede Stimme, die ich abgebe, zählt fast doppelt so viel wie eine normale Stimme. Damit bin ich beinahe HO viel wert wie zwei Personen, die bei allen Fragen gleich abstimmen. Eins Komma neun ist hoch, aber hier draußen
    gibt es vierundfünfzig Personen mit einem Index knapp
    unter drei. Bei ihnen hat das System einen geradezu über-menschlichen Scharfsinn ausgemacht. Die meisten von uns sehen die Landschaft der künftigen Ereignisse als verwirrend chaotisches Gelände, verschleiert vom Nebel ständig wechselnder Möglichkeiten. Die Dreier sehen eine beleuchtete Straße, deren Verzweigungen in grellen Neonfarben erstrahlen.« Thory fuhr mit Ehrfurcht in der Stimme fort: »Irgendwo da draußen, Präfekt, gibt es jemanden, den wir >den Vierer< nennen. Wir wissen, dass er unter uns wandelt, weil das System uns sagt, dass er ein Bürger von Haus Aubusson ist. Aber der Vierer hat sich noch keinem anderen Bürger zu erkennen gegeben. Vielleicht fürchtet er, sonst öffentlich gesteinigt zu werden. Seine Klugheit muss selbst für ihn wie ein Geschenk sein, wundersam und beängstigend zugleich wie die Gabe der Kassandra. Dennoch hat auch er
    nur vier Stimmen bei einer Bevölkerung von hundert Millionen. Vier Sandkörner an einem unendlich langen Strand.«
    »Erklären Sie mir, wie Sie es schaffen, an der Spitze zu bleiben«, bat Thalia.
    »Blut, Schweiß und harte Arbeit. Jeder von uns nimmt
    seine Fragen ernst. Dazu ist man als Bürger von Aubusson verpflichtet. Sie werden hier nur aufgenommen, wenn Sie einen Gewichtungsdurchschnitt von über eins Komma fünfundzwanzig halten können. Das heißt, der Einzelne muss
    genau überlegen, wie er zu den jeweiligen Fragen abstimmt.
    Nicht nur aus persönlicher Sicht, nicht nur aus der Sicht von Haus Aubusson,

Weitere Kostenlose Bücher